Argumente gegen Nationalist_innen
Jede nationale Idee behauptet, dass Menschen als Kollektiv zusammengehören, als Nation eben. Diese nationale Zusammengehörigkeit soll angeblich vor dem Staat da gewesen sein. In Wahrheit ist es genau umgekehrt. Wer Mitglied einer Nation ist, entscheidet der jeweilige Staat. Alle Begründungen für Nationen sind Märchen. Trotzdem sind Nationen mehr als kollektive Einbildungen: Dadurch, dass eine Anzahl von Menschen einer staatlichen Gewalt unterworfen ist, erzeugt der Staat Gemeinsamkeiten unter ihnen: Sie sind alle seinen Gesetzen unterworfen, müssen seine Sprache lernen oder für ihn in den Krieg gegen andere Nationen ziehen. Die Lüge von der Nation und von einem gemeinsamen nationalen Interesse wird erst „praktisch wahr“, wenn massenweise Menschen daran glauben (z.B. im Namen „ihrer“ Nation gegen andere Menschen Krieg führen, die das Gleiche gegen sie tun). Menschen, die sich als Teil einer Nation begreifen (also sich als Deutsche_r, Holländer_in, Ägypter_in usw. fühlen) haben die nationale Scheiße gefressen. Sie sehen nicht, dass durch den Kapitalismus ihre Bedürfnisse nur dann zählen, wenn sie Geld haben. Geld, um die Mittel zur eigenen Bedürfnisbefriedigung auf dem Markt bezahlen zu können. Sie sehen nicht, dass Staaten die Bedingungen setzen und durchsetzen, die das kapitalistische Wirtschaften zur Folge haben. Und damit die Konkurrenz aller gegen alle um Jobs und Geld. Beim heutigen Stand der Technik müsste niemand auf der Erde mehr verhungern und alle könnten ein gutes Leben haben. Wir müssten nur gemeinsam über die Produktionsmittel verfügen und überlegen, wie wir die Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse aller vernünftig herstellen und verteilen.
Dass heutzutage alle staatlicherseits in Nationen und Völker eingeteilt sind, ist im Kapitalismus genauso normal wie im Mittelalter die Vorstellung, dass Gott die Menschen in Leibeigene und Adel einteilte. Nationalist_innen sind nicht bloß die Nazis, sondern alle, die es normal finden, sich als Deutsche_r, Brasilianer_in, Chines_in usw. zu denken, und die jeweils „ihren“ Staat gut finden. Für die Erklärung, warum wir alle in Nationen und Völker aufgeteilt sein sollen, werden unterschiedliche nationalistische Argumente vorgebracht (gemeinsame „Rasse“, Sprache, Geschichte, Kultur, Werte). Fünf dieser Begründungen sollen im Folgenden vorgestellt und widerlegt werden.
„Wir sind eine Nation, weil wir gemeinsames Blut haben / weil wir ein Volk sind, das durch biologische Gemeinsamkeiten entstanden ist.“
Die Vorstellung, dass Nationen durch biologische Gemeinsamkeiten zustande kamen, oder dass Menschen in „Rassen“ aufgeteilt werden können, ist falsch. Seit es Menschen gibt, gibt es Wanderungsbewegungen. Und die Landesgrenzen (und darin die Bevölkerungen) der Nationalstaaten (deren ältester jünger als 250 Jahre ist) verdanken sich zufälligen Faktoren: Gewonnene oder verlorene Kriege während ihrer Gründung und Geschichte. Die Vorstellung von Nationen als biologisch einheitlichen Kollektiven ist also lächerlich. Und selbst wenn sie stimmen würde: Nur weil wir mit anderen körperliche Merkmale gemeinsam haben, folgt daraus kein gemeinsames Wesen, kein gemeinsames Denken und Handeln. Und auch kein Argument für eine Parteinahme für die Nation, in die wir zufällig geboren wurden. Wer rassistisch denkt, erklärt das (reale oder imaginierte) Vorliegen von Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen von Menschen damit, dass sie einer bestimmten „Rasse“, Nation, kollektiven Menschennatur zugehören würden. Für Rassist_innen entsteht das Verhalten letztendlich aus der Natur – und nicht aus bestimmten sozialen Verhältnissen, die wir vorfinden und zu denen wir uns so oder so stellen können. Eine gängige biologische Unterscheidung hinsichtlich des Blutes sind die Blutgruppen. Diese kommen bei allen Menschen vor. Keine Nation kann eine eigene Blutgruppe für sich reservieren. Natürlich haben Menschen Unterschiede (Variationen) in allen möglichen Körpermerkmalen (Fingerlänge, Augenfarbe, Ohrenform, Pigmentierung der Haut, Zungenroll skillz, usw.) – je nachdem, was da warum auch immer verglichen wird. Jede Vorstellung von „Rasse“ setzt voraus, dass eine kollektive Menschennatur von anderen Menschennaturen abgegrenzt werden kann. Und das haut nicht hin: Alle Einteilungen und Sortierungen von körperlichen Merkmalen sind willkürlich. Weder gibt es kollektive Menschennaturen, noch gibt es damit verbundene Charaktereigenschaften. Daher lassen sich Nationen auch nicht auf biologische Sortierungen und Eigenschaften zurückführen.
„Wir sind eine Nation, weil wir eine gemeinsame Sprache sprechen.“
Ebenso wenig wie durch Natur lässt sich die Nation durch Sprache begründen. Die Schweiz mit ihren vier Landessprachen zeigt, dass eine Sprache nicht entscheidend für die Nation sein kann. Ebenso wird Deutsch nicht nur in D-Land gesprochen. Wann etwas als Sprache, wann etwas als Dialekt gilt, lässt sich nur willkürlich unterscheiden. Friesisch z.B. ist dem Holländischen und Englischen viel näher als dem Bayerischen, welches wiederum österreichischen Dialekten näher ist. Darüber hinaus: Sowohl das „Horst-Wessel-Lied“ der Nazis als auch „Die Internationale“ der Arbeiter_innenbewegung können auf Deutsch gesungen werden – aber beide Lieder sind in Inhalt und Absicht voll unterschiedlich. Und umgekehrt: Ein und derselbe Gedanke kann in verschiedenen Sprachen ausgedrückt werden – und Sprachen können gelernt werden. Welche Art zu labern durch den Staat zur Landessprache erhoben wurde, war willkürlich und zufällig. Erst durch den bürgerlich-kapitalistischen Staat kamen Nationalsprachen in die Welt und wurden auf dem jeweiligen Staatsgebiet verbreitet und durchgesetzt (u.a. durch die allgemeine Schulpflicht bzw. Schulen). Nationale Einheitssprachen sind also Erfindungen und Resultat von staatlichen Maßnahmen und Verordnungen.
„Wir sind eine Nation, weil wir die gleiche Kultur haben.“
Auch die Vorstellung, dass eine Nation durch gleiche „Sitten und Gebräuche“ und gleiche kulturelle Vorlieben erklärt werden könnte, ist Quatsch. Wer darüber nachdenkt, merkt schnell, dass der Punk aus der Kleinstadt, die trendige Managerin aus Berlin und der Kneipenwirt aus dem Dorf ziemlich unterschiedliche kulturelle Vorlieben und „Sitten und Gebräuche“ haben. Die meisten Deutschen haben „ihren“ Goethe in der Schule gelangweilt über sich ergehen lassen, während viele Ausländer_innen seine Texte zu schätzen wissen. Jede Vorliebe für eine bestimmte Musik, literarische Epoche, Malerei, Gewürze, Verhalten usw. ist eher eine Frage des individuellen Geschmacks und der zufälligen Gewohnheiten. In einigen Regionen sind Karnevalsbräuche fester Bestandteil des Kulturlebens, in anderen sind sie weitgehend unbekannt. Und was hat die friesische Teezeremonie mit dem bayerischen Schuhplattler gemeinsam? Die Nationalität entscheidet nicht über kulturelle Vorlieben und Abneigungen. Und kulturelle Vorlieben und Abneigungen gaben nie die Grundlage einer Nation ab. Wahr ist, dass der moderne Staat überhaupt erst die „Nationalkultur“ erfunden hat: Dabei tat und tut er einiges, um das kulturelle Empfinden seiner Untertan_innen zu beeinflussen. Die Schulfächer „Deutsch“ und „Gemeinschaftskunde“ z.B. vermitteln jungen Staatsbürger_innen die Einheitssprache, eine Auswahl von Schriftsteller_innen und die Regeln der herrschenden Ordnung. Was zur nationalen Kultur gerechnet wird, ist also Ergebnis der jeweiligen staatlichen Definition.
„Wir sind eine Nation, weil wir eine gemeinsame Geschichte haben.“
In der Schule wird die Geschichte der „eigenen“ Nation unterrichtet. Und es gibt einige Familiengeschichten, wie der Urgroßvater gegen „die Russen“ oder „die Amis“ in den Krieg zog oder wie die Uroma die Trümmer danach wegräumte. Aber dass diese Geschichten sich so ähnlich sind, liegt ja auch schon daran, dass die Vorfahren bereits als staatlicher Zwangszusammenhang, als Nation zusammengefasst worden waren – für die sie dann z.B. in den Krieg gezogen sind. Davon abgesehen unterscheiden sich die Familiengeschichten z.B. von einer Fabrikbesitzer_innenfamilie erheblich von denen der Arbeiter_innenfamilien, die dort beschäftigt waren. Aber selbst wenn alle Mitglieder einer Nation tatsächlich eine gemeinsame Geschichte hätten – so wäre das noch lange kein Argument dafür, sich positiv zur jeweiligen Nation zu stellen; eher im Gegenteil. In den 1950er Jahren wurde die Nazi-Vergangenheit D-Lands totgeschwiegen – während heutzutage deutsche Politiker_innen gerade aus ihr eine „besondere nationale Verantwortung“ ableiten, um Kriegseinsätze in aller Welt zu rechtfertigen. Durch Schulunterricht, Gedenkstätten, Museen, Bildungsprogramme etc. zeichnet der Staat ein bestimmtes Bild (Nationalgeschichte), um seine jeweiligen politischen Ziele zu untermauern. Wird Geschichte als ein oder gar als der Grund für eine Nation angegeben, so werden die wahren Zusammenhänge auf den Kopf gestellt: Weil Menschen als Staatsbürger_innen einem Staat unterworfen sind und als nationale Gemeinschaft konstruiert und behandelt werden, bekommen sie in dieser Hinsicht erst ein gemeinsames „Schicksal“ (z.B. zusammen für D-Land in den Krieg ziehen). Ohne Nationalstaat keine nationale Geschichte.
„Wir sind eine Nation, weil wir die gleichen Grundwerte teilen.“
Der letzte Versuch, die Nation zu rechtfertigen nennt sich selber Verfassungspatriotismus und behauptet, es gäbe eine Art gemeinsamen Beschluss, den die Mitglieder einer Nation gefällt hätten: Weil sie nämlich bestimmte Werte und die Ordnung des Staates miteinander teilen würden. Sorry, aber bei dem Beschluss muss ich gefehlt haben. Es mag ja schon sein, dass die Staatsbürger_innen der meisten Staaten jeweils „ihre“ staatliche Herrschaft akzeptieren und sich mit ihr identifizieren. Es also normal finden, als Deutsche_r, Schweizer_in, Brasilianer_in usw. definiert zu werden. Nur: Wurden sie je gefragt, ob sie überhaupt damit einverstanden sind, dass die Erde in kapitalistische Nationalstaaten aufgeteilt ist? (Und selbst wenn die eigenen Eltern oder Großeltern gefragt worden wären, so wäre das für uns nicht bindend.) Und können Menschen Mitglied einer Nation werden, nur weil sie deren Verfassung gut finden? Offensichtlich nicht. Gleiche Werte sind also nicht der Grund dafür, zu welcher Nation eine Person gerechnet wird. In einem demokratischen Nationalstaat ist erwünscht und gefordert, dass sich alle Staatsbürger_innen mit einer Ordnung einverstanden erklären, über die sie in Wirklichkeit nicht zu bestimmen haben. Darauf läuft die hochgelobte bürgerliche Freiheit hinaus: Demokratie ist die freiwillige Unterwerfung des Einzelnen unter den Staat im Namen der Nation.
Kritik im Handgemenge, Bremen
eine Gruppe von Junge Linke gegen Kapital und Nation (heute Gruppen gegen Kapital und Nation)
Tipp zum Weiterlesen:
- Selbst Genetiker_innen und Anthropolog_innen haben festgestellt, dass es keine „Rassen“ gibt.
(www.akdh.ch/ps/ps_82Ausnahmen-Rgel.html) - Mense, Thorsten, Kritik des Nationalismus, 2015, 10 Euro, Klick!
- IDA e.V. – Broschüre: Made in Germany, zur Kritik des Nationalismus, 2017, kostenlos hier runterladen.
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