Langversion: The future is still unwritten

Sweet Talking mit den Rapacts Kronstadt (Barcelona), Daisy Chain (Thessaloniki) und Refpolk (Berlin)

Die Etablierung oder Vernetzung von tatsächlich europaweiten sozialen Bewegungen, die in der Lage wären, der autoritären Restrukturierung von Kapital und Staat auf dem alten Kontinent im Zeichen der „Eurokrise“ entgegenzuwirken, gestaltet sich trotz ihrer offensichtlichen Notwendigkeit als langwierig und zäh. Mehr als Demonstrationen und symbolische Blockade- und Besetzungsaktionen ist dabei kaum herausgekommen, und die EU-Gesellschaften scheinen sich in einem derart rasanten Tempo sowohl ideologisch wie auch technokratisch (inklusive der Repressionsapparate) neu zu formieren, dass die Diskussionen innerhalb der verschiedenen Bewegungen, die auf Aktionen wie „M31“, „N14“ oder „Blockupy“ folgen, schon zu deren Beginn oftmals als überholt erscheinen. Mit „The future is still unwritten“ haben nun drei Rapacts aus unterschiedlich von der „Eurokrise“ betroffenen europäischen Regionen – Kronstadt aus Barcelona, Daisy Chain aus Thessaloniki sowie Refpolk aus Berlin – ein musikalisches Vernetzungsprojekt gestartet. Song und Video thematisieren sowohl die Krise wie auch die Bewegungen in den verschiedenen Ecken des Kontinents und zeigen somit komprimiert auf wenige Minuten eindrucksvoll eine aus Subjektivitäten gespeiste gemeinsame Perspektive auf.

Der Song ist mit wählbaren verschiedenen Untertiteln abrufbar auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=Cm0kM6lAGzQ

Lieber Kronstadt, liebe Daisy Chain, lieber Refpolk,

erstmal vielen Dank dafür, dass Ihr Euch Zeit für dieses Interview nehmt, welches wir aufgrund der Entfernungen ja leider nur per mail führen können. Das bringt mich gleich zu der ersten, naheliegenden Frage: Wie habt Ihr Euch eigentlich kennengelernt?

Refpolk: Also das kam durch das Rap Militante Internazionale Netzwerk aus Mailand. Die organisieren monatlich Konzerte mit Rap-Acts aus ganz Europa oder Nordafrika. Wir drei sind dort aufgetreten, und dabei haben wir uns kennengelernt.

Und wie habt ihr dann den Song gemacht, also jetzt rein technisch – wie ging das über die weite Distanz zwischen euren Heimatstädten?

Daisy Chain: Das ist jetzt nicht so schwierig wie sich das zunächst anhören mag. Die Kommunikation zwischen uns war sehr gut, und wir haben einen einfachen Weg gefunden, das alles hinzukriegen. Wir haben unsere Ideen zusammengetragen, und dann hat eben jedeR den eigenen Part – also vom Sound und vom Video – aufgenommen. Am Ende musste das dann zusammengefügt und die richtige Mischung gefunden sowie das Video bearbeitet werden. Mir hat dieser ganze Prozess sehr viel Spaß gebracht!
Refpolk: Genau, letztendlich lief es übers Internet. Das hat natürlich etwas länger gedauert als wenn alles direkt besprochen werden kann, und manchmal haben wir uns auch einfach mal ein „echtes“ Treffen gewünscht. Aber online hat es ja dann auch gut geklappt.
Aus was für politischen und sozialen Verhältnissen kommt ihr denn persönlich her?
Daisy Chain: Da kann ich mich nirgends einordnen und das will ich auch gar nicht! Zumindest in nichts Spezifisches, ich will mich nicht irgendwie „bezeichnen“ oder „labeln“. Natürlich steh ich für meine Überzeugungen ein, möchte ich sowohl grundlegende Rechte verteidigen wie auch für prinzipielle Freiheit eintreten. Ich bin einfach ein Individuum welches für die Dinge kämpft, die jeder und jedem zustehen, auf die alle ein Recht haben, und dabei kämpfe ich auf der Seite aller, die auch für diese Ziele einstehen, egal wie sie sich letztendlich nennen.

Kronstadt: Also ich stamme aus seiner ArbeiterInnenfamilie, die aus Andalusien in Südspanien nach Barcelona ausgewandert ist, um hier Arbeit und ein besseres Leben zu finden. Ich habe einen großen Teil meines Lebens in einem ArbeiterInnenviertel am Rande Barcelonas verbracht, und das hat sicherlich einen immensen Einfluss auf meine Persönlichkeit gehabt. Mit 14 Jahren habe ich dann angefangen mich in verschiedenen anarchistischen Organisationen zu engagieren, und in denen habe ich mich dann sowohl politisch als auch persönlich entwickelt. Den entsprechenden Ideen und Überzeugungen fühle ich mich bis heute verpflichtet, viele Jahre danach.

Refpolk: Soziale Bewegungen und Kämpfe waren sehr früh ein wichtiger Teil meines Lebens. Genauso Erfahrungen mit Repression. Das geschah durch das Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin. Später lernte ich viel an der Universität durch feministische Kritik, Gespräche als Antifa mit Überlebenden des Nationalsozialismus und des Holocaust und die tägliche Beobachtung von Unterdrückung. Ich bin auf der Suche nach Bündnissen oft verzweifelt, schon am meiner eigenen Beschränktheit, doch schätze immer noch das Potential von Selbstkritik und Austausch.

Verfolgt Ihr ein bestimmtes Konzept politischer Musik und speziell politischem Rap?

Kronstadt: Musik und auch alle anderen künstlerischen Ausdrücke gehören seit Anfang an zu dem, was die Menschheit ausmacht, und ich glaube, dass sie schon immer dafür da waren, Erfahrungen, Gefühle, Ereignisse und Lebensumstände zu repräsentieren oder zu kommunizieren. Wenn dein Leben dann durch Kämpfe geprägt ist, dann findet sich dies zweifelsohne auch auf die eine oder andere Weise in deiner Musik wieder. Wenn aber dein Leben nichts mit Kämpfen zu tun hat, kannst du diese auch nicht wirklich in Musik ausdrücken, auch wenn du es versuchst. Sogar wenn es das exakt selbe Produkt wäre, so wäre es weder ernsthaft noch ehrlich.
Der Rap nun ist eine weitere Form, Erfahrungen und Unruhe zu übertragen, und für mich wohl die beste Form. Aber das ist von Person zu Person unterschiedlich, es legt Zeugnis davon ab, wer du bist. Es gibt keine politische Musik, es gibt politisierte Menschen, die ihre Ideen in den unterschiedlichen Formen ausdrücken, und halt auch durch Musik.

Daisy Chain: Rap ist ein musikalisches Genre, das auf den Texten basiert, und auf der Freiheit aller, die eigenen Gedanken auszudrücken. Ich finde das großartig, denn jedeR kann die eigene Stimme dafür einsetzen, zu informieren, Mut zu machen, sich zu einem Thema zu positionieren und dies anderen Leuten mitzuteilen. Dadurch kommen wir uns näher, sodass wir zusammen kämpfen können. Die Zeiten, in denen wir Leben, werden von enormen politischen Entwicklungen bestimmt, und ich denke, wir sollten alle in der Lage sein, uns dazu zu verhalten. Ich finde politische Musik daher definitiv sehr wichtig, aber ich sehe auch, was Musik darüber hinaus für unser Leben tun kann, und freue mich sehr darüber.

Refpolk: Musik muss sich ja nicht politisch nennen, um es zu sein. Ich habe durch Rap viel gelernt, vor allem zu Rassismus oder Klassenunterdrückung, und das nicht unbedingt immer von Artists, die sich als politisch oder links bezeichnen. Doch egal, wie wir sie nennen, Musik fasziniert mich, wenn sie Geschichten erzählt, die sonst nicht gehört werden, sie Hoffnung gibt, wenn Momente auswegslos erscheinen und ihre Ehrlichkeit und Einfachheit jedes große Gerede entlarvt.

Habt Ihr Eure Parts untereinander diskutiert, oder war das der/dem Einzelnen überlassen? Sind vielleicht auch ein paar kontroverse Punkte zwischen Euch und Euren Sichtweisen gegenüber den Bewegungen aufgetaucht?

Refpolk: Das war uns selbst überlassen, aber wir haben uns allen immer die Möglichkeit gegeben, an den Parts teilzuhaben und sie deswegen von Anfang an ins Englische übersetzt. Im Mittelpunkt stand allerdings immer unsere jeweils eigene Situation.

Daisy Chain: Zunächst haben wir über das Thema geredet und uns geeinigt, dass jedeR von uns aus der jeweiligen Sicht über das schreibt, was in dem jeweiligen Land grad abgeht. Ich finde, dass sich das dann ganz selbstverständlich und natürlich zusammengefunden hat. Über den Refrain mussten wir etwas mehr diskutieren, aber ich glaub das ist auch normal, immerhin haben wir drei verschiedene Sprachen verwendet. Größere Kontroversen gab es dabei aber nicht.
Für mich stechen drei Hauptaspekte in dem Track „The future is still unwritten“ heraus: Erstens die geteilte Perspektive auf die so genannte „Eurokrise“, dass der tatsächliche Grund für das Leid der Menschen in der Organisation der Ökonomie begründet ist, die zuerst immer auf das Schaffen von Profit anstatt allgemeinem Wohlstands abzielen wird. Zweitens dann natürlich die spezifische Situation in dem jeweiligen Staat. Und schließlich Drittens das, was durch den Titel selbst ausgedrückt wird, nämlich das wir uns selbst unser Schicksal formen. Würdet ihr dieser groben Zusammenfassung noch etwas hinzufügen oder wollt ihr die aufgeführten Punkte noch etwas präzisieren?

Kronstadt: Für mich ist die “Euro-Krise” wirklich nicht das Problem, das Problem ist der Kapitalismus, und die Krise ist nichts anderes als eine seiner Konsequenzen, ein systeminterner Prozess, durch den der Kapitalismus erneuert und seine Zwänge verstärkt werden. Es gibt Menschen, deren Leben im Kapitalismus krisenhaft war, ist und IMMER sein wird. Aber wenn wir unter dieser Oberfläche noch etwas weiter herumstochern wollen, so ist für mich das Problem auch nicht bloß der Kapitalismus, sondern jede Form von Herrschaft und Unterdrückung. Es gibt einige Formen der Unterdrückung und Autorität, die dem Kapitalismus lange voraus gingen, wie etwa der Staat oder das Patriarchat, und diese können auch in einer nicht-kapitalistischen Gesellschaft überdauern. Für mich macht es daher wenig Sinn, das ökonomische System zu verändern, wenn dies nicht durch einen radikalen Wandel der gesamten Organisation der Gesellschaft begleitet wird. Es gibt ja wirklich so manche autoritäre und unterdrückerische Deutungsweise des Lebens, aus denen sich ebenfalls eine Positionierung gegen den Kapitalismus ergibt – den Faschismus, den autoritären Kommunismus, oder allgemein in der Offenheit des Begriffs eben auch die politische Linke – und ich glaube, das Autoritäre und Autoritäten Feinde eines grundlegend gleichberechtigten Kampfes sind.
Das einzig Neue, das die “Eurokrise” gebracht hat, ist, dass auch die Mittelschicht auf die Straße geht, weil sie ihren Wohlstand gefährdet sieht. Wenn diese Leute ihre Kaufkraft zurück gewonnen haben, vergessen sie womöglich auch wieder die Millionen Hungertoten, die kapitalistischen Plünderungen der Lebensgrundlagen und auch den Staatsterrorismus. Die Zukunft ist unsere, die der Menschen, wir halten sie in unseren Händen, und alles, was nicht von uns selbst aus geht, wird sich gegen uns wenden.

Refpolk: Auch ich denke, dass es nicht bloß eine einzige Ursache für die Eurokrise, die Finanzkrise, die Wirtschaftskrise, die Krise des Kapitalismus und so weiter gibt. Für mich ist “die Krise” in ihrer dramatischen Vielfalt auch die Möglichkeit, die Zusammenhänge von Unterdrückungsverhältnissen in den Blick zu nehmen. Ich denke da an geschlechtliche Arbeitsteilung, Migration von Arbeit oder auch die Frage, wie wir im Alter leben wollen. Dieser Blick ist mir auch deswegen so wichtig, weil er schaut, wo verschiedene Kämpfe zusammenkommen können und nach Gemeinsamkeiten sucht. Wenn Daisy Chain, Kronstadt und ich aus unseren unterschiedlichen Lebensumständen und nationalen Kontexten heraus “The Future is still unwritten” sagen, dann steckt für mich darin genau dieses Zusammenkommen.

Daisy Chain: Lasst uns festhalten: So sieht sie also aus, die neue Weltordnung … Und so funktioniert das System … Jede Regierung in jedem Land muss diesen Pfaden folgen … Und trotzdem gilt: “The future is still unwritten”. Aber ich glaube, wir müssen verdammt schnell sein – sonst wachen wir eines Tages auf und stellen fest, dass wir nichts mehr ausrichten können, weil wir einfach zu spät sind. Jede und jeder sollte jetzt handeln, auf die Weise, wie es ihr und ihm möglich ist – und das Wichtigste ist dabei zunächst, das wir die Beziehungen zwischen uns verbessern. Wir müssen uns vertrauen können, müssen aufgeschlossen sein und uns gegenseitig helfen. Wir haben einfach keine Zeit mehr für unsere kleinen Kämpfe. Wir müssen uns zusammenraufen.

Griechenland, Spanien, Deutschland – den jeweiligen Staatsideologien dieser Länder liegen spezifische Leitbilder zugrunde, die auf unterschiedlichen historischen Mythen basieren, etwa denen der angeblich „friedlichen Übergänge“ von Militärdiktatur zu Demokratie in Griechenland und Spanien, oder die so genannten „Stunde Null“ nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland. All diese Mythen transportieren die Vorstellung, dass die griechische, spanische und deutsche Gesellschaft sich von einem Zustand der Gewalttätigkeit in einen Friedlicheren und Zivilisierteren entwickelt habe. Wenn nun diese Mythen (die natürlich auch auf ein paar Wahrheiten aufbauen) im Zuge der weiterhin andauernden ökonomischen Krise immer tiefere Kratzer bekommen – auf Grund von Armut, Repression und faschistischen und nationalistischen Bewegungen – werden dann nicht auch die Verhältnisse für Subkulturen immer härter? Was für Möglichkeiten seht Ihr denn für Euren Rap, etwas gegen autoritäre, faschistische und nationalistische Ideologien in Euren Ländern auszurichten? Und seht Ihr auf der anderen Seite die Gefahr der Zensur gegenüber künstlerisch-politischem Ausdruck (wie etwa Eurem Rap), wenn ihr auf die aktuelle Repression in Griechenland und Spanien oder die so genannten „Extremismus-Debatte“ innerhalb des deutschen Bildungssystems schaut?

Kronstadt: Leider kennen viele Leute die tatsächliche neuere Geschichte Spaniens nicht. Es war kein friedlicher Übergang, sondern ein stiller Kompromiss zwischen Diktatur und Demokratie (zwei Seiten derselben kapitalistischen Medaille, und nur das Kapital entscheidet wann welche zur Anwendung kommt). Die Diktatur verschwand, während sie kämpferische Menschen exekutierte, und die Demokratie kam, in dem sie kämpferische Menschen exekutierte, Menschen wie die ArbeiterInnen aus Vitoria, deren Streik mit Schüssen niedergeschlagen wurde, oder Agustín Ruede Sierra, ein engagierter Anarchist, im Zuge von Folter ermordet von seinen Wärtern in einer Zelle in Madrid. Und genau so erging es schon tausenden Gefolterten und Ermordeten in den verschiedenen Zellen und Kommissariaten in jedem Staat, durch die verschiedenen polizeilichen oder paramilitärischen Einheiten und ihre schmutzigen Kriege – und eben das wurde zum Täglich Brot der Demokratie.
Die Verhältnisse verschärfen sich nicht bloß durch die prekären Verhältnisse, in denen die Menschen leben, sondern auch und besonders durch die Angst der Herrschenden vor dem revolutionären Potential der Personen. Revolutionäre Bewegungen waren immer Verfolgung und Repression ausgesetzt, egal wie sich die ökonomische Situation darstellte. Unser Rap kann in so einer Situation ein weiteres Werkzeug im Aufbegehren gegen jegliche Herrschaft sein – ob nun auf der Arbeit, ob gegen das Patriarchat oder den Rassismus.

Refpolk: Wer radikale Kritik übt, wird früher oder später Repression ausgesetzt sein. Die Einordnung von linkem Rap in das deutsche Schema des Extremismus gibt es bereits. Gleichzeitig macht das natürlich auch einen Teil der Faszination von politischer Musik aus und diese findet auch nicht ohne Kontext statt. Schließlich kann Rap ein Weg sein, sich zu connecten gegen Faschismus, doch er ist auf andere angewiesen. Auch ein Song wie “The Future is still unwritten” entfaltet nur seine Wirkung mit einer entsprechenden globalen Bewegung, die sich zumindest auf ein paar Punkte wie Antikapitalismus und die Ablehnung von autoritären Krisenlösungen einigen kann.

Nationalismus in seinen verschiedenen Ausrichtungen ist ein recht gängiger ideologischer Mechanismus, der sich im Zuge von ökonomischen Krisen einstellt. Was sind für Euch die wichtigsten Aspekte des Nationalismus in Euren Ländern?

Kronstadt: Das ist in dem „Spanien“ genannten Land ja ein sehr kontroverses Thema. Obwohl der spanische Nationalismus eine gewisse Stärke gewonnen hat, ist die Idee eines „Spaniens“ ja keine 400 Jahre alt und eine Erfindung des Vatikan und seiner mörderischen katholischen Inquisitoren. Und in diesem Gebilde gibt es nun einige Teile der Bevölkerung, die für Unabhängigkeit kämpfen. Auf eine bestimmte Weise kann ich einen gewissen Respekt vor den Gefühlen einiger dieser Leute empfinden, und obwohl es am Ende auch Nationalismen sind, fällt es mir schwer den katalanischen oder den baskischen Nationalismus mit dem Spanischen in einen Topf zu werfen. Aber klar: immer wenn eine Epoche des wirtschaftlichen Niedergangs größere Teile der Bevölkerung erfasst, werden der Nationalismus und der Faschismus stärker, immer behütet durch das Kapital und die jeweiligen Bourgeoisien. Der Staat wird gestärkt und die Aufmerksamkeit von den tatsächlichen Problemen abgelenkt, die nämlich nicht vor irgendeiner Grenze halt machen. Das sind autoritäre und querfrontlerische Bewegungen, da sie verschiedene Klassen unter einer Flagge vereinigen. Die Freiheit ist Sache der Person und der Menschen, der Nationalismus Sache der Politiker und der Bourgeoisie.

Refpolk: Ich kann die Merkmale des deutschen Nationalismus nur anreißen. Für mich persönlich war in den letzten Jahren das Buch “Deutschland schafft sich ab” von Thilo Sarrazin ein einschneidendes rassistisches Ereignis. Das, was allgemein Finanzkrise genannt wird, war schon ein paar Jahre präsent und in Deutschland schreibt 2010 ein Vorstandsmitglied der deutschen Bundesbank ein Buch, das offen gegen Muslime und türkische und arabische Immigrant_innen hetzt und sie beschuldigt, die deutsche Gesellschaft von innen zu zersetzen. Gleichzeitig schafft die Gegenüberstellung von anständigen deutschen Steuerzahler_innen und faulen Griechen oder Spanier_innen, die nach Deutschland wollen, einen äußeren Feind. Nach meiner Beobachtung wurde dieser anfangs auch noch mehr durch das Bild des zockenden, raffenden Ami verkörpert, welches natürlich auch immer antisemitische Anknüpfungspunkte bietet.

Nun gibt es ja einige Labels, Festivals, Bookingzusammenschlüsse usw., die eine europaweite Infrastruktur für linke Musik bereitstellen, wie etwa „fire & flames“, welches musikalisch ja eher im Punk/HC/Ska Bereich unterwegs ist und sich mehr antifaschistischen und kommunistischen Inhalten widmet. Wollt ihr auch mehr auf einer europäischen Ebene aktiv werden, um den Einfluss von politischem Rap in die einzelnen Szenen hinein zu verstärken?

Refpolk: Auf jeden Fall. Gerade überlegen wir zum Beispiel, eine gemeinsame Tour durch Griechenland, Spanien und Deutschland zu machen. Rap Militante Internazionale ist dabei schon eine gute Basis, die arbeiten konstant daran, linker Rap Musik eine europaweite Infrastruktur zu schaffen.

Kronstadt: Es gibt eine beträchtliche Anzahl von antiautoritärem Rap fast überall in der Welt, und halt auch in Europa. Rap Militante Internazionale hat zwar den Anspruch, so etwas wie eine „Sprecherin“ zu sein, die die Message solcher Gruppen verstärkt, aber gleichzeitig ist es einfach ein guter Anlass zur Kommunikation, sich zu treffen und einige Tage zusammen zu verbringen. Der Rap hat seinen Platz innerhalb der Kämpfe, er hat ihn sich seit einiger Zeit erkämpft. Dabei vollzieht sich wahrscheinlich in jedem Land ein anderer Prozess. Die Idee ist letztendlich, miteinander zu interagieren, mehr Leute kennenzulernen, gemeinsam auf Konzerten aufzuschlagen und Ideen, Erfahrungen und Hilfe auszutauschen.

Und wollt Ihr auch Eure Zusammenarbeit weiterhin aufrecht erhalten oder noch ein paar Rap Acts aus anderen Ländern dazu holen? Und wird es die Möglichkeit geben, mal „The future is still unwritten“ von Euch dreien zusammen live performed zu erleben?

Daisy Chain: Ja, warum nicht? Also was die „future“ angeht, bin ich da ganz hoffnungsvoll.

Refpolk: Wie gesagt überlegen wir gerade, ob wir gemeinsam in Spanien, Griechenland und Deutschland auf Tour gehen. Eventuell auch als eine Verbindung von Vortrag, Diskussion und Konzert. Aber da ist die Zukunft ebenfalls noch ungeschrieben.

Kronstadt: Mit den verschiedenen Gruppen, die wir im Zuge der Festivals von Rap Militante Internazionale kennengelernt haben, halten wir weiterhin Kontakt auf persönlicher wie musikalischer Ebene, und ich bin sicher, dass da noch viel mehr nach kommen wird … Ich denke da an solche Kooperationen wie gemeinsame Platten zu produzieren, neue Gruppen zu gründen oder eben Tracks aufzunehmen, Festivals in noch mehr europäischen Städten zu organisieren … Eben alles, was es braucht, um die Verbindungen zu verstärken und denjenigen Stimmen zu geben, die an solch einem Projekt arbeiten. Ja, ich bin sicher, dass es noch mehr als nur eine Gelegenheit geben werden, dass wir über dieses Thema in ganz Europan zusammen rappen werden.