Interviews mit Feine Sahne Fischfilet, Sookee, Slime uvm:
Passend zum Schwerpunktthema Nationalismus gibt es Kurzinterviews mit einigen Bands und Musikprojekten, die uns alle die Frage beantwortet haben: „Seid ihr stolz auf Deutschland?“
Die Antworten gibts hier:
Nachlader, seid ihr stolz auf Deutschland?
Daniel für Nachlader:
„Meiner Meinung nach ist es unmöglich, auf ein Land stolz zu sein. Es gab durchaus schon Momente, in denen ich Stolz empfunden habe. Und das nicht zwangsläufig auf selbst erbrachte Leistungen, sondern auch auf Leistungen Anderer. Aber eine gesamte Nation erscheint mir als Gruppe zu groß, um tatsächlich stolz auf sie sein zu können. Wer es nötig hat, sich hinter einem so unübersichtlichen und abstrakten Gebilde zu verschanzen, um endlich Anerkennung und das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, zu erleben, hat in der Regel keine Gründe gefunden, auf irgendetwas in seinem eigenen Leben stolz zu sein.“
www.nachlader.de
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Sookee, bist du stolz auf Deutschland?
„Wie könnte ich stolz auf eine deutsche Nation sein, die in der ersten Zeile ihrer Hymne schon dreimal lügt und sich selbst als patriarchalisch inszeniert? Oder auf einen deutschen Staat, der auf Ausgrenzung, Verwertungslogik und Intransparenz fußt. Oder auf eine deutsche Kultur, die nicht mal selbst weiß, wodurch sie sich auszeichnet? Was bleibt, ist ein haufen Privilegien, mit denen ich bewusst umzugehen versuche.“
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Berlin Boom Orchestra,
seid ihr stolz auf Deutschland?
Filou für das Berlin Boom Orchestra:
„Stolz? Wie kann ich denn stolz auf etwas sein, womit ich nur zufällig und unfreiwillig etwas zu tun habe? Deutschland ist kein normales Land. Abgesehen davon das das Zusammenleben von Menschen in einem Zwangsgebilde „Nation“ nicht „normal“ ist, sondern Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse.
Es ist noch nicht so lange her, da hat Deutschland die ganze Welt in einen verheerenden Krieg gerissen, ein monströses antisemitisches Mordprojekt losgetreten, und und und…
Wer weiß denn ob Oma ihr schönes Teeservice nicht nach dem Beginn der Deportationen günstig aus „nicht-arischem Besitz“ ergattert hat?
Man könnte meinen, das sei lange her und heute sei alles anders. „Wir“ haben schließlich aus unserer Geschichte gelernt. Ist das Abfeiern der eigenen Nation heute etwa keine Aufwertung des Eigenen und Ablehnung des Fremden, ein über den anderen stehen, mehr?
Wenn nicht, wie erklärt man sich dann die nicht abreißen wollenden Angriffe auf Leute, die nicht aussehen, wie sich Thilo Sarrazin einen durchschnittlichen Arier vorstellt? Dass es im modernen Deutschland nicht jede Woche ein Pogrom gibt, wie das noch zu Zeiten des vorletzten großen nationalen Taumels – der sog. Wiedervereinigung – in den 1990er Jahren der Fall war, liegt allein daran, dass es nicht mehr so viele Flüchtlinge gibt, die es bis nach Deutschland schaffen. Viele ertrinken an den militärisch gesicherten Außengrenzen der EU oder werden in Folter, Hunger, Armut, Verfolgung und Tod abgeschoben. Mit tatkräftiger Hilfe deutscher Polizisten. Die auch die in Deutschland geltenden Sondergesetze für MigrantInnen und Flüchtlinge durchsetzen. Und dabei am Bahnhof oder im Park ganz zufällig immer nur Schwarze entwürdigenden Kontrollen unterziehen, was den rassistischen Charakter dieser Gesetze entlarvt.
Und die Deutschen, die aus ihrer Geschichte so viel gelernt haben, kümmert das einen Scheiß. Denn genau soviel sind diese Menschen für sie wert. Heute schämt man sich für Auschwitz nicht mehr, sondern missbraucht die ungesühnten Verbrechen der Großväter, um im Namen der Humanität erneut Krieg zu führen, um auch am Hindukusch die für die alte/neue europäische Großmacht Deutschland so wichtige Freiheit zu verteidigen – die immer die Freiheit des ungehinderten Rohstoffzuganges und die Freiheit der ungehemmten Verwertungsbedingungen meint.
Nein, ich glaube nicht, dass der Landser von heute, der „Staatsbürger in Uniform“, anders mordet, brandschatzt, plündert oder vergewaltigt als sein Opa das getan hat. Wer für Menschenrecht, Freiheit und ein gutes Leben für alle Menschen (unabhängig davon wie diese Menschen aussehen, welchen Gott sie verehren oder wen sie lieben) eintritt, der kann Deutschland nur scheiße finden.“
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Kaput Krauts,
seid ihr stolz auf Deutschland?
„Stolz sein kann man auf seine eigenen Leistungen, wenn man das unbedingt für sein Ego braucht. Alles andere ist per Definition krankhaft oder zumindest neurotisch. Stolz auf sein Land sind in der Regel eh nur diejenigen, die nichts finden, um auf sich selber stolz zu sein.
Außerdem haben wir für Deutschland nichts geleistet und haben das auch nicht vor. Und wie könnte man auf etwas stolz sein, das einem bei jedem Gedanken daran die Kotze im Hals hochkommen lässt.“
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Knarf Relloem Trinity,
seid ihr stolz auf Deutschland?
„This is the heavy heavy No Deutschland Sound! radadadeng radadadadeng. Listen to my 9mm go Bang!“
http://www.knarfrelloem.org/
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Mad Minority,
seid ihr stolz auf Deutschland?
„Nein. Das Gefühl von Stolz stellt sich in Bezug auf Deutschland einfach nicht ein. Stolz könnten wir sein auf etwas, das wir geschaffen haben, bei dessen Gestaltung wir beteiligt sind und das uns dadurch ein gutes Gefühl gibt. Deutschland ist für Teile der Band ein ganz okayer Arbeitgeber, für andere ein Gegner, der aktuell dem Antrag auf Einbürgerung nicht stattgeben will. Wo soll da der Ansatzpunkt für eine Emotion wie Stolz sein? Deutschland ist nicht weniger und auch nicht mehr als eine Realität mit der wir umgehen müssen.“
https://twistedchords.bandcamp.com/album/tc082-kaput-krauts-mad-minority-split
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Slime,
seid ihr stolz auf Deutschland?
Elf von Slime:
„Ich habe noch nie verstanden, wie jemand stolz auf ein bzw. „sein“ Land sein kann. Ich finde, man kann höchstens stolz sein auf etwas, dass man selbst geleistet hat und selbst da bin ich viel zu selbstkritisch um den Begriff zu gebrauchen. Nationaler Patriotismus ist was für ewig gestrige Hohlköpfe und muss bekämpft werden, damit nie wieder Abschaum wie die NPD oder andere Nazis an die Macht kommen.“
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Spicy Tigers On Speed,
seid ihr stolz auf Deutschland?
„Niemals! Stolz finden wir in diesem Zusammenhang scheisse, weil man nur auf etwas stolz sein kann, was man selbst erreicht hat – und nicht, weil man zufällig irgendwo geboren ist. Und überhaupt: Deutschland? Was soll das?! Unsere Brustimitate sind viel wichtiger! Deswegen: Mit falschen Stöckeln und echten Fakebärten Nationalismus entgegentreten und der patriarchalen weißen Vorherrschaft in die queere kommen! Weg damit!“
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Lebensfreude Records,
seid ihr stolz auf Deutschland?
Gunne & Hardy Meinhof, Betreiber des Berliner Labels Lebensfreude Records:
„Stolz zu sein auf eine nicht selbst erbrachte Leistung, da ja nur auf den unumgänglichen Fakt gegründet eben in Deutschland geboren zu sein, ist absurd. In der alltäglichen Labelarbeit spielt es zudem schon längst keine Rolle mehr – nicht Herkunft zählt, sondern die Qualität – in unserem Fall von Musik. Eigentlich ist Nationalismus eine recht altbackene Sache, bloß schade eben, dass Althergebrachtes dem Neuen und Interessanten oft den Weg verstellt. Nunja, von unserer jeher recht ausgeprägten Nationalflaggen-Allergie sehen wir jetzt mal ab…“
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Feine Sahne Fischfilet,
seid ihr stolz auf Deutschland?
„Stolz auf Deutschland? Stolz auf eine Nation? Stolz auf irgendein beschissenes Konstrukt? Wir kotzen gleich!
Aussagen, die sich positiv auf eine Nation beziehen, sind immer negativ! Dieses allzu beliebte ,,Wir-Gefühl“ benötigt zugleich auch immer ein Feindbild! Nationalismus und Rassismus gehören zusammen, wie Scooter und H.P. Baxxter.
Wir sind stolz auf Sachen, die wir uns selbst erkämpfen! Wir sind stolz auf unsere Freund_innen und Genoss_innen, die trotz Repression, täglich für ihre Utopien kämpfen und sich nicht unterkriegen lassen!
In diesem Sinne! Deutschland? Nie wieder!“
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Bratze,
seid ihr stolz auf Deutschland?
„Die Identifizierung über ein Land, einen Staat, eine Kultur, eine Lebensweise, eine Mentalität, eine Hautfarbe oder eine Struktur sagt uns nicht zu. Nationalitäten sind wie unsichtbare Grenzen in den Köpfen. Sicher gibt es Vorteile hier zu leben, aber darauf sind wir nicht stolz, sondern stufen diese Vorteile als Grundvoraussetzung allerorts ein. Es ist purer Zufall dass wir hier geboren sind. Dafür können wir nichts.“
http://www.bratze.eu/
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Schlagzeiln,
seid ihr stolz auf Deutschland?
DJ KaiKani und Refpolk :“Ja, weil keine Nation dieser Welt besser gezeigt hat, warum Nationalstolz absoluter Schrott ist.“
Kobito: „Aber zum Glück gibt es noch großartige Alternativen – Ich bin lieber stolz auf einen Freund_innenkreis, auf den ich zählen kann – und umgekehrt.“
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WIZO,
seid ihr stolz auf Deutschland?
Axel von WIZO:
„Nein, weil Deutschland stinkt. Ich bin stolz auf den Haufen Scheiße, den ich heute Morgen in meiner deutschen Toilette gemacht habe.“
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Früchte des Zorns,
seid ihr stolz auf Deutschland?
„Stolz auf ein Land sein? So ein Quatsch! Natürlich sind wir nicht stolz auf Deutschland. Wir finden Nationalstolz gefährlich und dumm. Wer stolz auf sein Land ist, ist schneller bereit, sich sogenannten nationalen Interessen unterzuordnen, z. B. sich in den Krieg schicken zu lassen. Wir wollen eigenständige Individuen bleiben und uns auf Grund freier Entscheidungen und Sympathie mit anderen Menschen zusammentun und nicht auf Grund von irgendwelchen kruden völkischen Konzepten. Uns geht es um das Wohl aller Menschen, egal woher sie kommen, egal wen sie lieben und egal welche Hautfarbe sie haben.“ (Foto von Jan Schenck /picturex.de)
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Irie Révoltés,
seid ihr stolz auf Deutschland?
Élevé von Irie Revoltes:
„Ich halte nix von jeglichem Nationalstolz! Er grenzt automatisch andere ab und ist so engstirnig. Man kann stolz auf Dinge sein, die man getan hat oder auf andere Menschen, aber darauf, einer bestimmten Nation anzugehören – das finde ich völligen Schwachsinn. Gerade weil es alles so willkürlich ist. Heute gehören diese und jene noch dazu, morgen gibt es neue Gesetze und übermorgen wieder andere und jedes mal wird ein anderer Teil nicht dazu gezählt. Es ist doch keine Leistung, einer Nation anzugehören! Soviel zum Thema „stolz, deutsch zu sein“.
Und „stolz auf Deutschland“: Das ist so abstrakt! Was ist Deutschland? Was verbinden wir damit? Auf was genau sind die Leute stolz, die sagen, sie sind stolz auf Deutschland? Jede Nation ist ein Konstrukt und beinhaltet so viele verschiedene Dinge. Stolz kann man nur auf konkrete Dinge sein. Es sagt ja auch niemand: ich bin stolz auf die Welt. Da würde jeder Mensch fragen: Auf was genau in der Welt???
Davon abgesehen gibt es in diesem Land immer noch so viel scheiße, darauf kann man ja wohl nicht stolz sein! Viele Menschen brauchen aber nun einmal eine Identität und das Gefühl der Gemeinsamkeit und da bietet sich leider für viele der Nationalstolz sehr gut an.“
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Captain Capa,
seid ihr stolz auf Deutschland?
„Stolz sein, also mit sich selbst oder einem übergeordneten großen Ganzen in Zufriedenheit baden – „geil abgeliefert!“ stolz sein können wir auf unsere eigenen Errungenschaften, auf persönliche Erfolge, gerne auch auf den Sieg der Fußballmannschaft, in der wir die Bälle halten oder den Stürmer spielen. Wir kicken allerdings keine Bälle für Team Deutschland und wir sind nicht Teil einer Großfamilie zwischen Flensburg und München. Wir leben nur hier. Dieses Land ist unser Wohnort, ist Platz zwischen Grenzen. Inniger wird diese Beziehung nicht. Worauf also stolz sein?“