Völkisch daneben

Kapitalismuskritik von (Neo-)Nazis versteht weder den Kapitalismus, noch will sie ihn abschaffen.

Warum setzen wir uns überhaupt damit auseinander?
Rechter Antikapitalismus ist kein neues Phänomen. Aus ihrem rassistischen und antisemitischen Weltbild und dem positiven Bezug auf Volk, Staat und Arbeit – völkisches Weltbild – folgte schon nach dem Ende des Ersten Weltkriegs eine einfache und falsche Erklärung der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse und sozialen Probleme des armen deutschen Volkes: „Die sind Schuld!“ Neu ist aber, dass sich Neonazis mit Globalisierung befassen und ihr Auftreten und ihre Slogans denen der G8-Gegner_innen angepasst haben. Bei Antiglobalisierungsprotesten, Montagsdemos und Protesten gegen die Krise haben Neonazis von der NPD bis zu den „Freien Kameradschaften“ Anschluss gesucht.Von den Medien, der „Rechtsextremismus“-forschung und Teilen der Linken wurde das Interesse von Neonazis am Antikapitalismus überrascht aufgenommen. Das sei doch ein linkes Thema – wie kann es sein, dass linke Themen von Rechten aufgegriffen werden? Für „Extremismustheoretiker“ war dieses Phänomen ein weiterer Beweis dafür, dass sich die beiden „Extreme“ aneinander annäherten und womöglich im Kapitalismus einen gemeinsamen Feind gefunden hätten. In der globalisierungskritischen Linken gab es hingegen die Vermutung, dass es sich um einen Trick handeln müsse, um „echte“ Globalisierungsgegner_innen auf die rechte Seite zu locken. So wurde gewarnt, hinter vordergründig antikapitalistischen Parolen würden sich Neonazis „verstecken“. Beide Reaktionen bestreiten, dass es Gemeinsamkeiten mit der eigenen Position geben könne. Einige der rechten Argumente und Thesen haben aber tatsächlich einige Anknüpfungspunkte mit populären und linken Erklärungsweisen des Kapitalismus und seinen Erscheinungen.
Während wir mit (Neo-)Nazis nicht diskutieren wollen, finden wir es wichtig, uns mit diesen Denkweisen innerhalb der Gesellschaft und auch in der Linken auseinanderzusetzen.

Wurzeln, Heimat, Volksgemeinschaft – mehr als knapp daneben
Wenn (Neo-)Nazis Kapitalismus sagen, meinen sie nicht wie wir ein System, an dem alle beteiligt und dem alle unterworfen sind. Und das wir alle jeden Tag neu herstellen, wenn wir was zu Essen kaufen, zur Arbeit gehen oder irgendwo wohnen wollen. Sie behaupten, Kapitalismus sei eine Erfindung und Inszenierung von wenigen Einzelnen (im Jargon: „Kapitalistenkaste“), die so den Rest der Menschheit regierten. Sie beziehen sich dabei auf eine naturgegebene Weltordnung, die Menschen ihrer „Abstammung“ nach in „Völker“ und „Rassen“ einteilt. Danach sollen alle ihren „ursprünglichen“ Platz auf der Weltkarte und in der Rangordnung haben. Zu welchem Volk Du gehörst, entscheidest Du dabei nicht selbst, sondern die Volkszugehörigkeit wird sozusagen vererbt. Nach dieser Zuordnung werden Dir auch Eigenschaften zugeschrieben. Dieses Volk soll immer gut zusammenhalten und eine starke Nation bilden, denn die Völker müssen sich gegeneinander im Kampf um Ressourcen und Territorium durchsetzen. Dazu braucht es einen starken Staat. Aha. Klingt rassistisch und ist auch so gemeint. Volk, Land, Staat, Nation … auf diesen Weltbild basiert: „Antikapitalismus von rechts“.
Die Kamerad_innen wollen also die eigene Volksgemeinschaft schützen. Und wovor? Das Volk – das deutsche besonders – sei völlig „entwurzelt“. Durch die vorangeschrittene Globalisierung, Migration, Arbeitslosigkeit und Fastfoodketten, die deutsche Gastwirtschaften ablösen. Neben diesen wirtschaftlichen Bedrohungen gehören auch Hollywood-Filme und ähnliche kulturelle, „nicht-deutsche“ Einflüsse, vor allem aus den USA, zu den Gefahren, weil sie dem Volk „Sitten und Bräuche“ entreißen würden.
Entwurzelt sei auch die Arbeit, denn der Mensch arbeite ja im Kapitalismus nicht für die Stärkung der Volksgemeinschaft, wie es sein natürliches Bedürfnis und Bestreben sei. Im Aufruf zum Ersten Mai, dem „Tag der Deutschen Arbeit“, schreiben Neonazis aus Berlin: Die Arbeit sei „charakterformend“ und ermögliche den Menschen eine Lebensgrundlage zu schaffen. Menschen sollen also weiterhin für ihre Arbeit nach dem Leistungsprinzip bezahlt werden, als Belohnung für ihren Einsatz für die „Volksgemeinschaft“. Im Kapitalismus schuftet der Arbeiter hingegen für den Profiteur, den Kapitalisten.
Erklärungsmuster von Verschwörungstheorien bis hin zum offenen Antisemitismus werden benutzt, um diese „Kapitalisten“ zu benennen und ihre Macht zu erklären. Wieso sollte die Mehrheit der Menschen zum persönlichen Wohl von sehr wenigen arbeiten? Weil, so die Behauptung, die Menschen mit Hilfe des sogenannten „raffenden Kapitals“ versklavt werden. Dieses Kapital entstamme nicht ehrlicher, schaffender Arbeit, sondern würde aus Aktiengeschäften, Zinseinnahmen, Spekulationen, internationalem Handel geschöpft und vermehre sich irgendwie von selbst. Im Gegensatz zu einer nationalen, unabhängigen Produktionsweise der Volksgemeinschaft, sei diese internationale Form „wider die Natur“. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich an den nationalsozialistischen Parolen im Übrigen wenig geändert. Schon die NSDAP hatte sich die „Brechung der Zinsknechtschaft“ 1919 ins Parteiprogramm geschrieben. Sie forderte das Ende des „arbeits- und mühelosen Einkommens“, worunter sie Anleihenhandel, das Bankwesen und das Zinsnehmen summierte. Unter dem Motto „Arbeit statt Dividende“ veranstaltete die „Antikap-Kampagne“ von Freien Kameradschaften eine Demonstration in Frankfurt am Main 2006.
So lautet die Antwort der NPD auf die Krise dann auch „Sozial geht nur national“ und stellt wieder mal Forderungen, mit der sie die Gesellschaft möglichst „deutsch“ halten will: Abschaffung des Asylrechts und die Kopplung eines deutschen Passes an in Deutschland geborene Eltern sowie die Ausgliederung aller „Ausländer“ aus der Sozial- und Rentenversicherung und die „Stärkung von Volk und Land“ mit einer „Raumorientierten Volkswirtschaft“.

Leistungsprinzip und Warenproduktion werden hier nicht als die Probleme angesehen, sondern das Leiden der Volksgemeinschaft. Soziale Konflikte, die sich unter anderem aus diesem verrückten Verhältnis ergeben, werden in der völkischen Denkweise zu Konflikten umgedeutet, die durch die Vermischung der Völker und Kulturen entstehen würden. Durch die Ideologie von „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital wird eine Unterscheidung gemacht, die es so gar nicht gibt. Unternehmen, egal ob die kleine Firma von nebenan oder die große aus Neuseeland, alle handeln nach der gleichen Logik. Sie stehen mit anderen Unternehmen in Konkurrenz und müssen sich durchsetzen. Ebenso wie Du Dich als Arbeitnehmer_in bei Bewerbungen gegen andere durchsetzen und aufpassen musst, dass Du Deinen Job behältst. Keine Frage, dass Jobs unterschiedlich gut bezahlt werden und das Leben im Kapitalismus unterschiedlich komfortabel ausfällt. Aber es gibt niemanden, der oder die ganz außerhalb dieser Abläufe steht und die Fäden in der Hand hält.

Das ist ein Punkt, an dem sich verkürzte Kapitalismuskritik und völkischer Unsinn treffen: bei der Gegenüberstellung von „guten“ und „bösen“ Unternehmen, bei der Unterscheidung von heimischen Betrieben, die grundsätzlich besser sein sollen als internationale Konzerne.
Seit Beginn der Krise 2007 wurde deutlich, welche Vorstellung viele Menschen vom Kapitalismus haben. Der wird zum einen meist als unumgänglich und notwendig erachtet. Zum anderen wird die Krise als Fehler verstanden, den irgendjemand verursacht haben muss.
In den Reaktionen auf die Finanzkrise tauchen in verschieden Zeitungen in Deutschland meist zwei Rollen auf: Gewinner, die zugleich auch Täter sind, und die Opfer der Krise.
Schuld am „Zusammenbruch der Wirtschaft“ seien Gier, die Manager und die Banken. Oder auch der Staat, der sich nicht um seine Bürger_innen gekümmert habe und mit den Unternehmen nicht streng genug gewesen sei. Unter den Folgen der Krise leiden nun die ehrlichen Arbeiter_innen, die Leute mit den Sparbüchern und dem guten Glauben an Sicherheit, die deutsche Wirtschaft und viele Unschuldige mehr.
Der Spiegel betitelt 2009 eine Ausgabe zum Thema Krise mit „Casino Global“. Ein Bild, das die Aktienmärkte als ein großes Glücksspiel darstellt, bei dem Börsenhändler_innen sich damit vergnügen würden, anderer Leute Geld zu verspielen; zum Leidwesen dieser Anderen, die hart für dieses Geld arbeiten mussten. Ebenso die Analyse des erfolgreichen Filmemachers Michael Moore, der in seinem Streifen „Capitalism – a Lovestory“ den Kapitalismus als eine ursprünglich gute Idee bezeichnet. Sie sei nur durch Übermut der Unternehmer_innen und der Politik entgleist.
Diese Sichtweise entspricht nicht dem offenem Antisemitismus der (Neo-)Nazis. Aber auch hier wird ein Unterschied zwischen gutem und schlechtem Kapitalismus gemacht und Bilder geschaffen, die denen vom „schaffenden“ und „raffenden“ Kapital sehr nahe kommen.
Davon ausgehend, dass allein Gier und Aktienhandel das Problem seien, wäre die Lösung einfach: Nur die schlechten Angewohnheiten der Menschen müssten sich ändern. Piff Paff: Ein gerechterer Kapitalismus? Wohl kaum. Schlechte Angewohnheiten mag es geben, aber sie sind es nicht, die Menschen zu Aktiengeschäften und Lohnarbeit zwingen. Deshalb ist es auch vergebens, mit moralischen Maßnahmen dagegen vorgehen zu wollen.

Um den Kapitalismus sinnvoll zu kritisieren, muss man ihn also verstehen und in diesem Zusammenhang auch Staat und Nation. Mit dem Weltbild von NPD und ihren Geistesverwandten ist das vollkommen aussichtslos. Deren Blut und Boden-Ideologie bringt uns jedenfalls nicht zu besseren Verhältnissen, im Gegenteil. Grade wer mit denen nichts am Hut haben will, sollte sich fragen, woher die Parallelen zu ihren Thesen kommen. Denn Überschneidungen mit den Forderungen von (Neo-)Nazis bedeuten nicht, dass die was richtig machen, sondern dass man selbst falsch liegt.

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