Alles Böse kommt von oben.

Zur Kritik von Verschwörungstheorien. Wieso niemand die Welt regiert.

Illuminaten, „Jüdische Weltverschwörung“, Bill Gates ist der Teufel höchstpersönlich und die USA haben den AIDS-Virus entwickeln lassen. Und das alles im Geheimen. Klingt ganz schön abgefahren? So ist es auch. Aber Verschwörungstheorien haben gerade seit dem 11. September wieder regelrecht Hochkonjunktur.

Eine Verschwörung habt Ihr vielleicht auch schon mal eingefädelt: Eine heimliche Verabredung mit ein paar Freund_innen, um einen geheimen Plan umzusetzen. Eine gemeinsame Sache, von der nur Ihr was wusstet und die vor anderen verborgen bleiben musste oder sollte. Das Ergebnis ist aber offensichtlich. Damit nicht rauskommt, dass Ihr damit was zu tun habt, erzählt Ihr einfach ‘ne falsche Story. Im großen Stil nennt sich das Verschwörung. Eine Verschwörungstheorie deckt aber keine reale Verschwörung auf, sondern vermutet hinter Ereignissen und Gegebenheiten heimliche Absprachen – und weiß schon immer vorher, wer dahinter steckt. Komisch, wenn sie doch eigentlich der Wahrheitsfindung dienen sollte.
Doch was sind Verschwörungstheorien überhaupt? Schauen wir uns einfach mal ein paar populäre Beispiele zum 11. September an. In einem Text der Band „Die Bandbreite“ heißt es: „Habt ihr dat vielleicht selbst gemacht? Den Terror selber in die Welt gebracht? […] Habt ihr dabei an dat Geld gedacht? Habt ihr dafür die eigenen Leute getötet, weil ihr dat Öl da drüben so dringend benötigt […] Doch so fangt ihr ihn an, den gerechten Krieg, weil ihr euch so die Wahrheit zum Rechten biegt, und ihr wiegt euch in Sicherheit – bis einer fragt: Habt ihr dat vielleicht selbst gemacht?“.

Mit diesen als Fragen getarnten Anschuldigungen ist die Band nicht allein. Der Songtext zeigt, was von vielen Menschen durchaus geglaubt wird. Dass die Regierung den Anschlag inszeniert und damit das eigene Volk verraten habe, um einen Krieg im Nahen Osten zu rechtfertigen. Doch wie kommen die Leute darauf?
Fehlende Flugzeugteile und die Zurückhaltung von Beweisbändern gelten als Indizien dafür, dass an der offiziellen Geschichte etwas nicht stimmen soll. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um eine kritische Nachfrage auf Ungereimtheiten zur Wahrheitsfindung, sondern vielmehr geht es in Verschwörungstheorien andersherum. Die Verschwörer stehen schon fest, bevor überhaupt Beweise für den heimlichen Komplott gesucht werden.

In den meisten Verschwörungstheorien rund um die Anschläge vom 11. September trifft das besonders zwei Gruppen, die als üble Verursacher gesehen werden: die „Juden“ bzw. der Staat Israel und die amerikanische Regierung, die gemeinsame Sache mit einigen wenigen Öl- und Rüstungsfirmen machen würden.
Die aus konservativen und rechten Lagern stammende Behauptung, die „Juden“ und ihr Geheimdienst würden die entscheidenden Ämter in der Regierung, den Medien und der Wirtschaft in den USA kontrollieren, um so noch mehr Geld zu scheffeln, zeigt ein typisches Merkmal einer Verschwörungstheorie. Da wird ein „parasitäres Fremde“ der eigenen Gesellschaft gegenübergestellt, welches mittels Lügen, Täuschung und Kalkül gegen das „ursprüngliche und natürliche“ Eigene – hier meist der _die „gute“ US-amerikanische Bürger_in – vorgeht.
Dieses idyllische und harmonische Bild von der eigenen Gesellschaft schafft die Grundlage dafür, dass Konflikte immer als von außen kommend beziehungsweise von einer kleinen, geheimen Gruppe verursacht gesehen werden. Das Versagen der eigenen zuständigen Sicherheitsbehörden und ein realer Angriff seitens al-Qaida werden ausgeschlossen. „Irgendein Araber aus einer Höhle überwindet die US-Air Force – unmöglich!“
Lieber wird einzelnen Personen oder Gruppen Gier, Egoismus und Fehlverhalten unterstellt, um damit die eigene Welt als die gute, moralische und frei von schnöden materiellen Interessen zu zeichnen. Diese Meinung trifft dann auch auf die zweite große Strömung innerhalb der Verschwörungstheorien rund um den 11. September zu. So wird nicht nur von vielen Amerikaner_innen, sondern auch von vielen „Linken“ vermutet, dass der Anschlag ein hausgemachter Coup zwischen der Regierung und mächtigen Wirtschaftsbossen sei. „Habt ihr dabei an dat Geld gedacht? Habt ihr dafür die eigenen Leute getötet, weil ihr dat Öl da drüben so dringend benötigt?“. In diesem Coup sei dann eben auch kein Platz mehr für Freiheit, Menschenrechte und Wahrheit.

In den zwei Beispielen zeigt sich dann auch schön, dass die Frage wem die Sache nützen könnte, entscheidend dafür ist, wer oder was in die Opfer- bzw. Täterrolle gepackt wird. Doch so aktuell und neu, wie das alles klingt, ist das Phänomen der Verschwörungstheorien gar nicht.
Sie sind schon ein jahrtausendealter Versuch, sich die Welt einfach zu erklären. Bereits im Mittelalter, besonders während der Verbreitung der Pest, wurde beispielsweise den „Juden“ vorgeworfen Brunnen zu vergiften. Oder etwas später, im 19. Jahrhundert, als die Weltausstellung in London nach Meinung preußischer Staatsdiener angeblich nur stattfand, um die Arbeiterklasse Europas zu vereinen und zum Umsturz gegen die bestehende Ordnung aufzurufen.

Montageanleitung
Aber wie funktioniert sie nun? Wer von der Verschwörung überzeugt ist, zaubert endlose Mengen von dubiosen Quellenangaben und Zitaten aus dem Hut. Diese sollen dann helfen von der angeblichen wissenschaftlichen Beweislage zu überzeugen. Ins akademische Gewand gehüllt, vermitteln sie so eine enorme Glaubwürdigkeit: „Schau her, all diese Beweise und Fakten“. Außerdem werden politische Entscheidungen häufig auf einzelne Personen reduziert und „die da oben“ als allmächtige Experten beschworen. Jenen wird dann unterstellt, alle relevanten politischen und zentralen Entwicklungen im Geheimen zu kontrollieren. Verschiedene Interessengruppen kommen gar nicht mehr in Betracht. Oder es werden, falls es keine konkreten Schuldigen gibt, jegliche Handlungen verschwörunsgtheoretisch erklärt. Irgendwer steckt schon dahinter. Komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge werden somit ausgeblendet.
Ähnlich plump wird mit der Geschichtsschreibung und -deutung umgegangen. Statt die Vergangenheit verstehen zu wollen, wird eine tolle Geschichte geliefert und die dazu passenden Fakten herausgepickt. So wird in manchen Theorien der Reichstagsbrand und die Machtübernahme Hitlers mal schnell mit dem 11. September und Bush gleichgesetzt. Heißt: Der Reichstagsbrand, den die NSDAP selbst legen lassen hatte, um in der Folge noch härter gegen ihre politischen Feinde (die Kommunist_innen) vorgehen zu können, wird willkürlich mit dem Anschlag auf das World Trade Center gleichgesetzt. Bush habe diesen bewusst in Kauf genommen, um dann mit Schuldzuweisungen Richtung al-Qaida einen „Krieg gegen den Terror“ in Afghanistan zu führen. Das kommt gut an, denn man habe „es ja schon immer gewusst“. Regierungen und Personengruppen sind jetzt nur noch bloßes Werkzeug einer Verschwörung oder sogar selbst eine. Doch Parallelen gibt es in der Geschichte immer wieder. Wer lange genug sucht, findet sie auch.

Wer so vorgeht, dürfte ja eigentlich kaum Zustimmung bekommen. Wieso klingt trotzdem alles so plausibel und logisch und lässt sich so leicht verbreiten? Einfaches Rezept: Nimm dir ein großes, plötzliches Ereignis, das die eigene gesellschaftliche Stellung zu bedrohen scheint, erkläre dieses zum Täuschungsmanöver einer einzelnen Gruppe, ignoriere alle offen zu Tage liegenden Fakten, frage, wem es nützen könnte und fertig ist der Verschwörungskuchen. Lecker! Als Sahnehäubchen kommt noch vergessenes, übergangenes und missachtetes Wissen jenseits des Mainstreams oben drauf. Wer ein Stückchen isst, bekommt seine Vermutungen oder Grundannahmen durch griffige Slogans bestätigt.
Ein Feindbild gibt es gratis dazu. Und das Ganze schmeckt sogar noch gut. Jetzt wurde es denen da mal richtig gezeigt. Endlich zu wissen, dass die USA von der Bombardierung Pearl Habors gewusst haben, aber nichts unternahmen, um in den Zweiten Weltkrieg einsteigen zu können – ganz schön geil. Weißte Bescheid, wa? Somit wird dann auch das Bedürfnis nach einer einfachen Erklärung der Welt gestillt. Einige haben Götter, andere Verschwörungstheorien.

Aber was ist jetzt der Zweck von diesem Rotz?
Verschwörungstheorien bilden eine leicht zu bedienende Allzweckwaffe, mit der sich ein einfaches Feindbild erzeugen lässt. Mit Hilfe einer griffigen Geschichte lässt sich in krisenhaften Momenten die „natürliche“ Ordnung (eigene Gesellschaft, Weltbild) gegen das von außen Kommende oder die, im Geheimen agierenden Gruppen, schützen. Was auch der Hauptzweck einer jeden Verschwörungstheorie ist. Es braucht einen Schuldigen, der für all das Übel verantwortlich ist. Also flüchten sich Verschwörungstheorien in aggressive Schuldzuweisungen gegenüber dem „Fremden“ beziehungsweise dem, was nicht zum verteidigten „Weltbild“ gehört. Somit wird die komplexe und von vielen unterschiedlichen Interessen gesteuerte Welt mit all ihren Extremsituationen einfach erklärt. Mögliche Leser_innen lassen sich so leicht für die Sache gewinnen.

Kritik und gefährliche Folgen
So abgedreht wie das alles klingt, ist es aber leider nicht. Verschwörungstheorien helfen nicht nur die bestehende Ordnung aufrecht zu halten, sie können auch ziemlich schnell richtig gefährlich werden und noch verheerendere Ausmaße annehmen.
Als die „Juden“ damals beschuldigt wurden, mittels Wucher und Verbrechen die Inflation und Massenarbeitslosigkeit ausgelöst zu haben, führte dies für die Deutschen zur Erklärung allen Übels. Die Verschwörungstheorie wurde zur Ideologie einer ganzen Nation. Dieses war einer der Gründe, der den schon vorhandenen Antisemitismus stärkte und letztendlich zum Holocaust führen konnte.
Nach ähnlichem Muster funktionieren Teile der antiimperialistischen Ideologie, dessen Ziel zumeist die USA sind. Die USA dienen so als Sündenbock für viele Probleme dieser Welt. Alle Scheußlichkeiten der eigenen Gesellschaft werden auf ein böses Äußeres projiziert. Das rührt unter anderem daher, dass die USA die „mächtigste“ Nation der Erde sind und viele weltweit agierende Großunternehmen dort ihren Hauptsitz haben.
Der besondere Charakter der Verschwörungstheorien führt nicht nur in den genannten Beispielen zu rückschrittlichen Weltbildern, sondern behindert ganz allgemein das eigene kritische Denken und bietet damit Futter für vielerlei ideologischen Quatsch.
Verschwörungstheorien und rückschrittlich? Hinterfragen sie nicht gerade Autoritäten wie Regierungen? Ja, aber das ist noch lange nicht emanzipatorisch. Einzelne Menschen, Gruppen oder Institutionen für alles Unheil verantwortlich zu machen, ist eine reine Problemverschiebung. Alles bleibt schön übersichtlich und die vielen verschiedenen Interessen der Menschen bleiben außen vor. Sie mögen manchmal eine gesellschaftskritische Motivation haben, und damit politische Diskussionen um nützliche Fakten und Sichtpunkte bereichern. Allerdings lässt sich mit ihnen die bestehende kapitalistische Gesellschaftsordnung weder verstehen noch überwinden. Indem sie personifizierend wirken, blenden sie die Komplexität der Welt (Warengesellschaft, Geschlechtsverhältnisse, Rassismus etc.) aus. Eine gepfefferte Kritik an Staat, Nation und Kapital sieht anders aus.

Zum Weiterlesen:
Daniel Kulla: „Entschwörungstheorie. Niemand regiert die Welt“ erschienen 2007,  14,80 Euro

Daniel Kulla, Handeln wollen, verstehen müssen,
Jungle World 23 (2016)

Mitschnitt der TOP B3rlin-Veranstaltung “Verschwörungstheorien vs. Gesellschaftskritik” mit dem Buchautor Tobias Jäcker bei Freie Radios…