Warum „Straßen aus Zucker“?

2009 ist das Superjubiläumsjahr.
Vor 20 Jahren ist die Berliner Mauer gefallen und vor 60 Jahren wurde das Grundgesetz verabschiedet. Genug Gründe also für Deutschland, dieses Jahr zu feiern. Die von der Bundesregierung initiierten Feierlichkeiten stehen passender Weise unter den Schlagwörtern „Freiheit und Einheit“. Was ist dagegen einzuwenden? Eine ganze Menge!

Melodien für Millionen
Die heutige Bundesrepublik ist der demokratischste Staat, den es bisher auf „deutschem Boden“ gegeben hat. Doch was heisst das eigentlich? Der deutsche Staat garantiert zwar die persönliche Freiheit und Gleichheit seiner Bürger, legt aber genau damit den Grundstein für ihre schlechte Situation. Wie passt das zusammen? Als Staatsbürger_in in der bürgerlichen Gesellschaft hat man zwar die Garantie, persönlich frei zu sein, das heisst zum Beispiel von Niemandem versklavt zu werden oder Ähnliches. Gleichzeitig aber setzt der Staat die Unfreiheit der Menschen durch. Dadurch, dass er mit seiner Gewalt das Eigentum schützt und somit alles immer jemandem gehören muss, müssen die Menschen im Kapitalismus sich ihr Leben lang gegen andere durchsetzen. Sie sind gezwungen, mit ihren Mitmenschen zu konkurrieren, um zu überleben. Mit Ausnahme von ein paar Glückspilzen, die einen kleinen Schatz von ihren lieben Alten erben oder zufällig einen Geldkoffer finden, müssen alle arbeiten und Angst um ihre Existenz haben. Hiervon sind sowohl Lohnarbeiter_innen betroffen, die um Arbeitsplätze konkurrieren müssen, als auch Unternehmer_innen, die in Konkurrenz mit anderen Unternehmern stehen und bei schlecht laufenden Geschäften um ihr berufliches Überleben bangen.
Die Menschen sind darin frei, einen Vertrag bei welchem Arbeitgeber auch immer zu unterschreiben, gezwungen aber ein Leben lang zu ackern. Bedeutet der Verlust der Lohnarbeit oder Niedergang der eigenen Firma in Deutschland „nur“ einen rapiden Verlust der Lebensqualität, geht es im größten Teil der Welt aber tatsächlich um das nackte Überleben.
Wie irrational diese Verhältnisse sind, zeigt sich gerade dadurch, dass es in der heutigen Zeit problemlos möglich wäre, alle Menschen zu versorgen und das bei viel geringerer Arbeit. Warum also der ganze Scheiß?

“Auf das Notwendige kann ich verzichten, man überschütte mich mit Luxus.“
Im Kapitalismus geht es nicht um die Bedürfnisse des Menschen, die in ihm leben, sondern um das Verkaufen von Waren und um das Vermehren von Geld. Die Versorgung der Menschen ist hierbei immer nur das Nebenprodukt, nicht das Hauptanliegen. Die Menschen kriegen nicht automatisch die Sachen, die sie zum Leben brauchen, sondern die Waren gelangen nur zu denjenigen, die sie auch bezahlen können. Das kann so weit gehen, dass Menschen Hunger leiden müssen, obwohl sich nebenan der Reichtum türmt. Dieses Verhältnis wird geschützt durch das Eigentumsprinzip, was wiederum vom Staat garantiert wird.
Bei der Gleichheit, die der Staat garantiert, verhält es sich ähnlich: Die Gleichheit aller Bürger_innen sorgt für die Ungleichheit der Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft. Vor dem Gesetz haben Obdachloser und Großaktio-när_in die gleichen Rechte: Ihr Eigentum wird gleichermaßen beschützt. Es bringt dem Obdachlosen aber herzlich wenig, dass seine sieben Sachen als sein Eigentum gelten und beschützt werden, denn der Weg zum gesellschaftlichen Reichtum ist für ihn versperrt und ein besseres Leben somit auch. Er zieht in diesem Fall die Arschkarte.
Die Gleichheit im Staat bedeutet lediglich die Gleichbehandlung von Ungleichen.

Trotz allem einen kühlen Kopf bewahren
Wichtig bei all dem ist, dass es keinen Sinn macht, einzelne Personen für diese Verhältnisse verantwortlich zu machen. Krisen und Katastrophen, die der Kapitalismus immer wieder hervorbringt, sind nicht die Schuld von schlechten oder korrupten Politiker_innen, gierigen Manager_innen oder betrunkenen Beamten, sie sind das Resultat der falschen Gesellschaftsordnung und eben diese gilt es zu kritisieren.

Wer ist eigentlich diese „Nation“?
Der einzige Sinn und Zweck, den die Nation dabei hat, ist der Zusammenhalt, der in ihr lebenden Menschen.
Sie ist allerdings nicht nur eine konstruierte, also unechte Idee oder falsches Bewusstsein, sondern ein realer Zusammenhang, der die Leute einerseits zwar an sich bindet und ihnen ein gewisses „Schicksal“ aufbürdet, andererseits ihnen auch eine materielle Zuwendung bietet und sie vor den negativen Auswirkungen des globalen Kapitalismus schützt. Indem der Status der jeweiligen nationalen Wirtschaft im Weltmarkt sich direkt auf die Lebenssituation der in ihr lebenden Bürger_innen auswirkt, wird also eine tatsächliche Grundlage für eine Identifikation mit dem nationalen Ganzen geschaffen.
Dies bewirkt, dass die Menschen statt die Ursachen ihrer Probleme in den Verhältnissen zu suchen, lieber mit ihrem Land mitfiebern mit der kläglichen Hoffnung, dass wenn es Deutschland gut geht, auch sie etwas vom Kuchen abbekommen. Der Staat allerdings hat ganz andere Sorgen, als die einzelnen Schicksale seiner Bürger_innen aufzupolieren. Er muss schauen, dass das wirtschaftliche Wachstum stimmt und somit auch die Steuern, von denen sein Handlungsspielraum abhängt.
Dieser nationale Zusammenhalt wird mit allem Möglichen begründet und gefüttert: Gemeinsame Kultur, Geschichte, Mentalität bis zur gemeinsamen Fußballmannschaft. Es läuft immer darauf hinaus, dass Menschen in Deutschland anders sein sollen als Menschen in anderen Ländern, dass alle Deutschen in einem Team sind und für eine gemeinsame Sache einstehen. Dies kann auch so weit gehen, dass man für sein Land in den Krieg ziehen muss.
Der gesunde Menschenverstand müsste einem eigentlich sagen, dass es reiner Zufall ist, wo Mensch geboren wurde und dass es keinen, aber auch gar keinen Unterschied zwischen Menschen mit verschiedener Herkunft gibt. Der einzige Sinn und Zweck der ganzen Deutschlandfeierei ist also, den Deutschen das Gefühl zu geben, dass sie in einem Team sind, obwohl sie sich in Wirklichkeit als Konkurrent_innen gegenüberstehen und nur überleben, wenn sie sich gegen den oder die Andere_n durchsetzen. Die Nation ist zwar etwas Vorgestelltes, eine Imagination, aber eine mit realer Wirkkraft. Wenn man sich schon die Köpfe nicht einschlagen kann und darf, dann tut man sich halt zusammen, um als Gemeinschaft die anderen auszustechen.

Warum ins „eigene Nest“ scheissen?
Wir haben diese Zeitung gemacht, um dem ganzen Deutschlandgedudel etwas entgegenzusetzen. Die Angebote, die uns Staat und Kapitalismus machen können, kosten uns nur ein müdes Lächeln. Wir sind Deutschland nicht dankbar und schon gar nichts schuldig. Für unsere Zukunft hoffen wir nicht darauf, viel und ganz flexibel arbeiten zu können, sondern ein geiles Leben zu haben.
Zu allen staatstreuen Deutschen, die einen dann gerne belächeln und herumschwafeln, sie fänden es ja lobenswert, dass Jugendliche ein moralisches Bewusstsein hätten, früher oder später würde man dann aber doch merken, dass eine andere Welt nicht möglich sei usw. lässt sich nur eins sagen: Es braucht weder große Moral noch Idealismus, um Staat und Kapitalismus falsch zu finden.
Allein die Vernunft sagt schon, dass es Blödsinn ist, eine gesellschaftliche Ordnung gut zu finden, die sich nicht nach den eigenen Interessen richtet.
Deswegen fordern wir nicht mehr und nicht weniger als die befreite Gesellschaft:

Eine Gesellschaft ohne die Herrschaft von Staat, Nation und Kapital.