Eine Absage an Staat und Nation

In diesen beiden Artikeln beschäftigen wir uns mit Staat und Nation.
Stopp, weiter lesen! Das klingt zwar erst mal trocken und unverständlich, ist aber hochaktuell und nie langweilig. Und Anlässe, sich darüber mal zu verständigen, gibt es in diesem Jahr einige.
Einerseits die Krise, die viele Fragen aufwirft: Wie kam es dazu? Wie funktioniert der Kapitalismus? Und was hat der Staat damit zu tun? Was macht er? Und wieso?

Andererseits das Jahr der Jubiläen und nationalen Feiertage. 2000 Jahre Varusschlacht / 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland / 20 Jahre Mauerfall / … und noch so einiges mehr, was zum Nachdenken über Deutschland, so was wie nationale Identität und die Entstehung von Nation und Nationalismus anregt. Darüber, wieso wir glauben, dass der Staat notwendig gegen die Menschen steht. Wie und wieso Nation und Nationalismus die Gesellschaft zusammenkitten. Und wieso wir diese ganze Scheiße abschaffen wollen.

Deswegen befassen wir uns im ersten Teil mit dem Staat. Was sind seine Aufgaben? Wie erfüllt er sie? Und wo ist da die Verbindung zur Nation?
Im zweiten Teil geht es um die Entstehung von Nation und Nationalismus, um ihre Funktionsweisen und Spielarten.
Hier soll versucht werden zu erklären, wieso wir Staat und Nation als unmittelbares Herrschaftsverhältnis und als eine der letzten großen Hürden der Menschheit auf ihrem Weg zu einer freien und gleichen Gesellschaft begreifen.

Vorbemerkung: Wir reden hier über Staat und Nation, so wie sie in ihrer idealtypischen Form aussehen. Es wird hier davon ausgegangen, dass Staat, Nation und alle anderen gesellschaftlichen Kategorien als Resultate historischer Prozesse verstanden werden müssen.
Uns ist klar, dass es von Nation zu Nation viele grundlegende Unterschiede gibt. Die können in diesem Text allerdings nicht behandelt werden, deswegen reden wir hier vor allem von Staat und Nation in ihrer Idealform. Das meiste lässt sich auf Deutschland übertragen.

Erste Halbzeit: Der Staat

Der bürgerliche Staat ist die politische Form der kapitalistischen Gesellschaft, in der wir leben. Ihre Verwaltung und Reproduktion ist sein Zweck.
Das heißt: Im Kapitalismus hat der Staat eine ganz bestimmte Aufgabe – die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Besitz- und Produktionsverhältnisse.
Der Staat soll die Prinzipien der kapitalistischen Gesellschaft durchsetzen, ihre Wirkmächtigkeit garantieren und dafür sorgen, dass der Laden gemäß seinen eigenen Gesetzen ohne größere Brüche immer weiterläuft und sich immer wieder selbst neu erfindet und weiterentwickelt.
Zweck des Staates ist es deshalb, einen politischen, rechtlichen und strukturellen Rahmen für eine Gesellschaft des Verwertungszwanges zur Verfügung zu stellen und die Akkumulation, also die Anhäufung von Kapital zu gewährleisten.
Daraus ergeben sich bestimmte Kernaufgaben, die notwendigerweise Sache des Staates sind.

Gewährleistung von Privateigentum
In einer Gesellschaft, in der das private Eigentum an Produktionsmitteln und an Waren die entscheidende Grundlage bildet, muss eben dieses mit allen Mitteln verteidigt werden. Das Privateigentum ist der Scheideweg der Individuen im gesellschaftlichen Werdegang: Man besitzt Kapital und damit Zugang zu Produktionsmitteln und Investitionsmöglichkeiten und man wird sein Bestes dazu geben, dieses Kapital anzulegen und mehr werden zu lassen, oder man wird gnadenlos untergehen in der Konkurrenz der Besitzenden um den Erhalt des eigenen Standes. Oder man besitzt nichts außer seiner eigenen Arbeitskraft und man wird sein Bestes dazu geben, diese möglichst erfolgreich an eine_n Inhaber_in von Produktionsmitteln zu verkaufen, oder man wird gnadenlos untergehen in der Konkurrenz der Besitzlosen um Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum, um Gehalt, Lohn und volle Teller.
Das Privateigentum an Produktionsmitteln ist das entscheidende Grundprinzip kapitalistischer Vergesellschaftung: es zu schützen und zu pflegen, ist die erste Pflicht des Staates.

Falsche Freiheit und falsche Gleichheit
Freiheit. Der Staat garantiert die Freiheit des_r Einzelnen, sich seine_ihre Arbeitgeber_in und damit das individuelle Ausbeutungsverhältnis selbst zu wählen. Er gewährt die Freiheit, sich dem Zwang zu beugen.
Des Weiteren gewährleistet er die Freiheit, an ausgewählten gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen zu partizipieren und sich für oder gegen ausgewählte Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse zu positionieren und sich im Rahmen des Möglichen für das Selbe in Grün auszusprechen.
Gleichheit. Der Staat garantiert die Gegenübertretung von Besitzenden (Produktionsmittel und Kapital) und Besitzlosen (nichts als der eigenen Arbeitskraft) als freie und gleiche Vertragspartner_innen. In dem der Staat gewährleistet, dass sich tatsächlich Ungleiche auf einer gesetzlichen Ebene als juristisch Gleichberechtigte begegnen, reproduziert er das paradoxe Verhältnis von allgemein legitimierter und juristisch abgesicherter Ausbeutung und realer Ungleichheit. Nur so kann das Ausbeutungsverhältnis auf Basis von Rechtmäßigkeit (im juristischen Sinne) und formaler Gerechtigkeit funktionieren.

Aus diesen Annahmen folgt eine weitere: Aufgabe des Staates ist die Organisierung eines formalen Rahmens, um einen freien und gleichen Markt zu gewährleisten. Dieser ist das entscheidende und grundlegende Medium und Forum einer entwickelten kapitalistischen Gesellschaft, ihre Basis und ihr Dreh- und Angelpunkt. Und damit auch ein Aufgabenbereich des Staates.

Infrastruktur und Wirtschaftsrecht
Des Weiteren hat der Staat einige Aspekte der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion zur Verfügung zu stellen, die die Wirtschaft nicht übernehmen kann. Zur Absicherung und Verwaltung der bürgerlichen Gesellschaft stellt der Staat eine komplexe soziale, ökonomische und eigentliche Infrastruktur bereit. Verkehrs-, Gesundheits-, Sozial- und Rechtswesen müssen so weit entwickelt und gefestigt sein, dass der Kapital- und Warenverkehr und das gesellschaftliche Verhältnis Lohnarbeit unbeschränkt praktiziert werden können. Nur so läuft der Laden und nur so kann auch der Staat davon profitieren. Die soziale Absicherung ist zwar immer auch das Resultat gesellschaftlicher und historischer Kämpfe, dient aber in ihrer Bereitstellung in erster Linie dem Zweck, die Bürger_innen eines Staates bei der Stange zu halten und ihre Unzufriedenheit durch die Ermöglichung eines gewissen materiellen Wohlstands gering zu halten.
Der soziale Frieden ist das Ergebnis von einer sozialen Absicherung, um Lohnarbeiter_innen die Arbeitsfähigkeit zu erhalten und ihren totalen (und damit geschäftsschädigenden) Verschleiß im Automatismus des Verwertungszwangs zu verhindern und um die bedarfsabhängige Reintegration von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Zu betonen ist auch, dass der Staat nicht – wie von manchen behauptet – etwa ein Instrument der „herrschenden Klasse“ ist.

Dies würde ja bedeuten, dass es einerseits so etwas wie eine einheitlich denkende herrschende Klasse mit identischen Interessen gibt und andererseits der Staat ein Objekt ohne eigene Intentionen und Interessen ist, welches sich nach Belieben durch „die Mächtigen“ steuern und lenken lässt. Beides lässt sich aber widerlegen.
Die „herrschende Klasse“ existiert nicht. Zumindest nicht in dem Sinne eines Zusammenschlusses von Akteuren, die gemeinsame Interessen verfolgen und für ihre Durchsetzung den Staat benutzen. Vielmehr ist mit diesem ungenauen Begriff die Gruppe derer gemeint, die Produktionsmittel und Kapital besitzen. Sie haben allerdings kein gemeinsames Interesse, sondern stehen sich auf dem Markt in unversöhnlicher Konkurrenz gegenüber. Sie sind in ihren Interessen zwar einig in ihrer Position gegen die Lohnabhängigen (sie wollen möglichst viel Arbeit für wenig Geld) und gegen den Staat (solang er nicht gebraucht wird, wird ihm Freiheit, Nichteinmischung und Fressehalten abgefordert), andererseits aber sind die Interessen der Mitglieder dieser Klasse direkt gegeneinander gerichtet.
Sie wollen sich gegenseitig wirtschaftlich ausbooten und ruinieren, um ihre eigenen Waren möglichst gewinnbringend auf dem Markt zu verkaufen. Der Staat nützt ihnen da nicht viel.
Andererseits ist der Staat nicht etwa willenloses Objekt, sondern ein Gebilde und gesellschaftliches Verhältnis mit eigenen Regeln, Interessen und Zielsetzungen. Der Staat hat als grundlegendes Ziel und als elementare Aufgabe, die bürgerliche Gesellschaft und ihre Produktionsweise aufrecht zu erhalten.

Weltmarkt
Dies ist die letzte große Aufgabe des Staates nach der Organisierung seiner Bürger_innen und der Verwaltung seiner Nationalökonomie: die möglichst effektive und bestmögliche Positionierung seiner nationalen Wirtschaft auf dem Weltmarkt zu gewährleisten.
Gerade in den Zeiten der Globalisierung spielt der Weltmarkt eine unermesslich große und immer weiter wachsende Rolle – für jede_n Einzelne_n, für Unternehmen und auch für den Staat. Hier materialisiert sich der ökonomische Wettstreit der Nationen.

Denn die eigentliche ökonomische Intention des Staates ist die optimale Aufstellung seiner Nationalökonomie, das heißt seiner heimischen Unternehmen, und der eigenen Nation als Wirtschaftsstandort auf dem Weltmarkt. Nur bei einer erfolgreichen Abwicklung der Geschäfte der „eigenen“ Unternehmen auf dem Weltmarkt und dem Erfolg des Wirtschaftsstandortes (und damit auch der Attraktivität für Investitionen durch ausländisches Kapital) erhält der Staat Einnahmen durch Steuern.

Zweite Halbzeit: Die Nation

So weit, so gut. Oder schlecht. Immerhin: Bis hierhin bist du bereits gekommen.
Es bleibt die Frage, was mit diesem Text gesagt werden soll. Was das mit dir zu tun hat.
Und wo die Verbindung von Staat, Kapital und Nation sein soll, die in dieser Zeitung vielleicht schon mal erwähnt wurde.

German Zustände
Hast du dir schon mal Gedanken gemacht, was Deutsch ist? Was typisch deutsche Werte und Eigenschaften sind? Und wie sie entstanden sind?
Jetzt denkst du vielleicht an Pünktlichkeit, Fleiß und Disziplin. Oder auch nicht. Vielleicht verbindest du mit Deutsch prinzipiell etwas Schönes. Schließlich steht es doch für deine Herkunft und dein Leben, so wie es bis jetzt seinen Weg gegangen ist. Deutsch sind gutes Brot, Mülltrennung und die mehr oder weniger sicheren Verhältnisse, in denen wir leben.
Vielleicht verbindest du mit Deutsch auch eher die vielen negativen Erfahrungen und Erlebnisse, die du mit Deutschland bisher gemacht hast. Ausgrenzung, Diskriminierung und – nennen wir sie mal so – stereotype Denkweisen. Kein Pass. Kein Geld. Keine Arbeit. Scheißdeutsche, die dich so behandeln, als wärst du weniger wert und würdest nicht dazu gehören.
Vielleicht denkst du auch einfach an Oma und Opa, ihr Weltbild und daran, dass du Deutsch schon mit der Muttermilch aufgesogen hast. Daran, dass Deutsch etwas Unveränderliches ist, was dich schon immer begleitet hat und was dich immer begleiten wird. Etwas, was lange vor dir da war und allem Hoffen zum Trotz auch noch lange nach dir da sein wird.
Aber was ist dieses „Deutsch“?
Wieso verbinden wir alle, wenn wir an bestimmte Nationen denken, mit ihnen bestimmte Eigenschaften und Gefühle? Wieso begreifen wir die Menschen eines bestimmten Staatsgebietes als einheitliche Gemeinschaft? Wieso denke ich bei „Wir“ eher an Deutschland als an meine Freundinnen und Freunde, meine Verwandten oder an die Gemeinschaft der Brillenträger_innen?
Wieso in aller Welt hat die Nation so eine Wirkmächtigkeit?

Digging deep and getting dirty
Vielleicht hast du es beim Lesen schon so ein bisschen bemerkt, wir lehnen die Nation ab.
Für die Autor_innen dieses Geschreibsels steht sie exempla-risch für die Scheisse der Welt. Sie repräsentiert Ungleichheit, Unfreiheit, Destruktion und Verblendung.
Sie betont Gemeinsamkeit, wo Unterschiede existieren, und sie beharrt auf Unterschieden, wo eigentlich Gemeinsamkeiten gegeben sind.
Wir begreifen die Nation als ideologische Konstruktion.
Das heisst: In der kapitalistischen Gesellschaft, in der wir leben, in der nichts sicher ist, in der Krisen im System inbegriffen sind, in der jede_r einzelne tagtäglich den Kampf ums Dasein neu ausfechten muss, in der die Gesetze des Staates und des Marktes einen immerwährenden Angriff auf das eigene Leben bedeuten, ist die Nation eine willkommene Identifikationsfigur, eine Institution der Sinnstiftung und Heilsversprechen.
In jeder Gesellschaft gibt es eine materielle Grundlage: Ihre Produktionsweise und die Art ihrer politischen Organisierung. In diesem Fall ist es der bürgerliche Staat, dem die politische Verwaltung innewohnt, und die Gesetze der Konkurrenz in der Marktwirtschaft, denen jede_r einzelne unterworfen ist. Das hat zur Folge, dass bei vielen ein Gefühl der Hilflosigkeit und Unsicherheit entsteht. Fragen nach dem Sinn des Ganzen, nach der Zukunft und nach Sicherheit und ein Gefühl der Abneigung gegenüber allen Faktoren, die das eigene Selbst und seine Existenzgrundlage bedrohen, sind in einer kapitalistischen Gesellschaft allgegenwärtig. Die Vereinzelung und Bedrohung der Subjekte lässt sie verzweifelt nach Erklärungsmustern suchen und in Scharen in Kirchen rennen und die Nation als die entscheidende Kategorie ihres Daseins begreifen.

„Ehrgeiz ist die letzte Zuflucht der Versager…“

Die verzweifelte ökonomische Situation, in der die meisten aufgrund der Verfassung unserer Gesellschaft stecken, lässt in den Menschen mitunter trotz Widerwillen oder besserem Wissen die Einsicht keimen, dass der Erfolg ihres Arbeitgebers maßgebend für ihre eigene Situation – das Einkommen, die Sicherheit des Arbeitsplatzes – ist. Dieses ewige furchtbar nervige „Wir müssen den Gürtel enger schnallen“ ist aber keine dumme Phrase oder blödes Geschwätz, sondern reales Abbild der ungeschriebenen Gesetze, nach denen wir leben. Nur wenn man sich für seinen Betrieb zurückstellt und aufopfert, ist das eigene Leben unter halbwegs sicheren, aber anspruchslosen Verhältnissen garantiert. Es gilt die Einsicht, dass die Hingabe zu seinem Arbeitgeber und die unbedingte Identifikation mit ihm von jedem Einzelnen gefordert sind, um den Erhalt des Betriebs in der Konkurrenz zu sichern.
Der zweite Schritt dieser Logik ist ein einfacher: Nur wenn der Standort des Unternehmens – also das Land, in dem es produziert – auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig ist und bleibt, wirkt sich diese ganze Hingabe positiv auf die eigene Situation aus. Alle Mühe, die man in seine Arbeit steckt, verpufft, wenn sich die_der Arbeitgeber_in mit ihren_seinen Produkten auf dem Weltmarkt nicht durchzusetzen vermag.
Und wenn das Land, in dem man arbeitet, als Wirtschaftsstandort auf dem Weltmarkt schlecht aufgestellt ist, ist alle Mühe für die Katz, denn dann wird in das Land nicht oder nur gering investiert, und dann gehen die Arbeitsplätze halt flöten.
Neben der Identifizierung mit dem eigenen Unternehmen ist also von den Subjekten die Unterstützung des eigenen Staates und der Nation gefordert, um als Individuum und als Gemeinschaft durchsetzungsfähig zu bleiben.
Es ist allerdings ja nicht so, dass der bürgerliche Nationalismus etwas ist, was rein „von oben“ auferlegt wurde, sondern etwas Dynamisches, was von jeder_m Einzelnen immer wieder produziert und reproduziert wird, um Sinn, Trost und Gemeinschaft zu erfahren.

Fuck me, I´m famous
Im rauhen Wind der Konkurrenz ist die Einreihung in die nationale Gemeinschaft eine feste Burg.
In einer Gesellschaft, die nicht für die Menschen, sondern für das Kapital produziert, ist der_die Einzelne in der Konkurrenz so isoliert, dass sie_er nach Integration in eine Gemeinschaft und Abgrenzung gegenüber Anderen bedarf. Was gibt es da besseres als die Nation?
Sie ist optimal dazu in der Lage, den Leuten eine Identifizierung mit einer Gemeinschaft zu bieten, eine Vielzahl an möglichen Erklärungsmustern zu liefern und eine passgenaue Abgrenzung nach aussen zu liefern. In der wohligen Wärme der nationalen Gemeinschaft können wunderbar einfach die Unterschiede in der Gesellschaft (Besitzende und Besitzlose / Lohnabhängige und Produzent_innen) und die Gegensätze der Gesellschaft in Gemeinschaft und Gemeinsamkeit überführt werden.
Die Gesellschaft mit ihren gegensätzlichen Interessen und Widersprüchen wird durch eine mythische Überhöhung und eine Interpretation der Vergangenheit zu einer gemeinsamen Nationalgeschichte, zu einem „Wir“ gekittet.

Bisher wurde in diesem Text vor allem von Standortnationalismus und bürgerlichem (Verfassungs-)Patriotismus gesprochen. Sie sind nicht die einzigen Spielarten des Nationalismus. Vielmehr leben wir in einer Gesellschaft, die sich als höchst komplexes Geflecht von verschiedenen Ideologien darstellt. Bei weitem nicht alles lässt sich über die Wirtschaftsform einer Gesellschaft erklären. Völkischer Blut-und-Boden-Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus müssen immer im historischen Kontext gesehen werden und entwickelten sich aus einer Vielzahl an politischen, sozialen und ökonomischen Faktoren. Doch alles, was sich zwischen konservativem und liberalem Glauben an die Nation bewegt, ist so wirkmächtig, dass es getrost als die grundlegende Gedankenform der bürgerlichen Gesellschaft gelten kann.

Happy Nation
Die Nation ist der Dreh- und Angelpunkt unserer Gesellschaft, sie fungiert als entscheidende und zentrale Kategorie aller Beziehungen und Vorgänge in sozialer, politischer und ökonomischer Hinsicht. Nicht umsonst ist die erste Frage noch vor der nach dem Beruf die nach der Herkunft. „Wo kommst du her? Was machst du?“ Im Gesprächsanfang aller Bekanntschaften zeigt sich, wie eine Gesellschaft tickt. Beruf, gesellschaftliches Standing und Herkunft – na danke. Da scheiss‘ ich doch auf die Nation. Aber letztendlich liegt die Gefahr in der Nation, weil sie aller Kritik zum Trotz so fest in den Köpfen steckt – sie ist eine in sich geschlossene, unglaublich effektive Ideologie mit der Wucht einer Bombe und der Zerbrechlichkeit eines Stahlklotzes. Sie erfüllt ihre Aufgabe mit beängstigender Routine und Souveränität. Sie verschleiert die Klassenunterschiede so weit, dass der Laden ohne jegliche Knirschgeräusche weiterläuft, sie konstruiert Unterschiede und Abgrenzungen dort, wo eher Brücken gebraucht würden im Bestreben nach einer befreiten Gesellschaft, und sie fickt die Leute dermaßen in den Kopf, dass sie die Scheisse, in der sie sitzen, für Gold halten, solange sie nur Deutsche sind.

Dritte Halbzeit

Am 23. Mai 2009 wird das 60-jährige Jubiläum der Grundgesetzunterzeichnung gefeiert und am 9. November 2009 als zentrale Gedenkfeierlichkeit die deutsche Wiedervereinigung und der Fall der Mauer, der sich zum 20. Mal jährt.
Zwei unterschiedliche Anlässe selben Zwecks: die Selbstvergewisserung als nationale Schicksalsgemeinschaft.
Die Gegensätze dieser Gesellschaft – die Lohnabhängigen, die Kapitalfraktion, der Staat – machen sich hier mit Hilfe der ideologischen Stütze Nation zu einer Gemeinschaft, die mit sich selbst versöhnt ist.
Angesichts der Schrecken, die der Nationalismus hervorbrachte, des Leids, dass er verursachte, und der Ausbeutung, Unterdrückung und Unfreiheit, die seine Grundlage und die der Nation sind, ist es an uns, mobil zu machen gegen Staat, Kapital und Nation. Ihre Abschaffung ist die Voraussetzung für eine Gesellschaft, in der die Menschen gemäß ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten konsumieren, produzieren und leben können.
Wir rufen dazu auf, bei der antinationalen Demonstration am 23. Mai und bei den zentralen Feierlichkeiten am 9. November einen kleinen Teil zu leisten im Engagement und Kampf um eine Gesellschaft von Freien und Gleichen: Die Absage an die Nation.

EDIT 2012: Bei diraction.org und black-mosquito.org gibts neue SaZ-Shirts, -Hoodies & -Beutel! Unter anderem die hier:
Deutschland du Opfer!